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Wibke Behrens: "Kunst ist nicht dafür da, um Lösungen zu präsentieren"

Wibke Behrens: "Kunst ist nicht dafür da, um Lösungen zu präsentieren"
Foto: © Lena Krause

Spätestens seit Joseph Beuys 1982 mit „7000 Eichen“ den Nachhaltigkeitsdiskurs in die Kunst brachte, gehen Kunst und Nachhaltigkeit eine Koalition ein – nun wird Nachhaltigkeit immer mehr zur Pflicht. Wie gehen Kunstschaffende damit um? Wie verändert der Druck, in einer Gesellschaft nachhaltig zu werden, den Kunstbetrieb und die freie Kunst? Wir sprachen dazu mit Wibke Behrens, der Geschäftsführerin des kulturwerks und bildungswerk des bbk berlins. 
 

INTERVIEW  Jens Thomas 



CCB Magazin:Hallo Wibke, du setzt dich seit Jahren für die Belange der Kunst in der Hauptstadt ein: 2014 hast du die Koalition der Freien Szene in Berlin mitgegründet und warst lange Zeit Koordinatorin der nGbK – seit Juli 2021 bist du nun Geschäftsführerin des bildungswerks des bbk berlins und seit Juli 2024 zusätzliche Geschäftsführerin des bbk-kulturwerks. Was hast du eigentlich mit Nachhaltigkeit zu tun? 

Wibke Behrens:Oh, die Einstiegsfrage überrascht einen ja richtig. Zunächst muss ich mich in all die neuen ökologischen Standards, die nun abverlangt werden, einarbeiten. Da passiert ja gerade so unglaublich viel. Wenn man den Nachhaltigkeitsbegriff dann aber weiter fasst und die soziale Dimension mitdenkt, und das sollten wir tun, bin ich mit dem Thema Nachhaltigkeit schon lange betraut. Und beides wollen wir mit dem bbk und seinen Tochtergesellschaften voranbringen.

CCB Magazin:Bevor wir ins Details gehen: Was macht der bbk? 

Wibke Behrens:Der bbk ist der Berufsverband für Künstler*innen in Berlin. Wir sind der mitgliederstärkste Einzelverband und vertreten die Berufsinteressen der Künstler*innen der Hauptstadt mit knapp 3000 bildenden Künstler*innen: Wir setzen uns für die strukturelle Förderung der bildenden Künstler*innen ein, haben seit 30 Jahren ein Atelieranmietprogramm im kulturwerk, führen zudem professionell ausgestattete Werkstätten wie die Medienwerkstatt, Bildhauerwerkstatt oder die Druckwerkstatt, die nächstes Jahr sogar 50 Jahre alt wird – und wir bieten im bildungswerk weiterführende Professionalisierung, Qualifizierung, Coaching und Beratungen an. Ach ja, dem Thema Nachhaltigkeit widmen wir uns auch noch: So haben wir 2022 die Workshopreihe "Gemeinsam für Nachhaltigkeit. Ohne Wenn und Aber" auf den Weg gebracht und dazu einen gleichnamigen Leitfaden verfasst. Wir haben es "Kochbuch" genannt.

Der bbk ist der Berufsverband für Künstler*innen in Berlin mit knapp 3000 bildenden Künstler*innen - seit dem Jahr 2022 widmen wir uns auch dem Thema Nachhaltigkeit: Wir haben eine Workshopreihe initiiert und ein "Kochbuch" erstellt

CCB Magazin:Um was geht es in der Workshopreihe? Und was hat es mit dem „Kochbuch“ auf sich?  

Wibke Behrens: Wir wollten über die Workshopreihe einen ko-kreativen Prozess mit Methoden des Design Thinkings in Gang setzen, um das Thema Nachhaltigkeit voranzubringen. Das bedeutet, dass wir Nachhaltigkeit nicht von Beginn an als feststehende Größe definiert und entschieden haben, was zum Schluss dabei herauskommen soll. Wir haben zu den Künstler*innen gesagt: Überlegt euch was. Was und wen wollt ihr erreichen? Zu welchen der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN wollt ihr arbeiten? Herausgekommen sind Projekte zum Siebdruck, zu biochemischen Reaktionen von Flüssigkeiten, vor allem aber zu den Themen Gemeinwohl, Gerechtigkeit und soziales Miteinander. Das Ganze haben wir schließlich im gleichnamigen Leitfaden, dem "Kochbuch", veranschaulicht. Kochbuch heißt die kleine e-Publikation, weil alles kreativ über Zutaten und Einflussfaktoren experimentell veränderbar ist – wie beim Kochen auch.

CCB Magazin: Kannst du mal Beispiele bringen, was ihr genau gemacht habt und wie ihr vorgegangen seid?   

Wibke Behrens: Ein Projekt hat sich beispielsweise mit der Gleichberechtigung von Frauen im Iran befasst. Arrangiert wurde es von der Künstlerin Sabine Reinfeld, der Sozialarbeiterin Julia Kühn von der Kolumbusschule in Zusammenarbeit mit den Schüler*innen vom Fuchsbau, einer Jugendeinrichtung in Reinickendorf. Dazu wurden Ideen gesammelt, über den Schattentanz zu Bewegt-Bildern performt und im Anschluss Fragen diskutiert, die sich hierlebende Iranierinnen immer wieder stellen: Warum sind Frauen noch immer nicht gleichgestellt? Was hat Gleichstellung mit Nachhaltigkeit zu tun? Eine andere Gruppe hat sich wiederum mit den prekären Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden befasst. Hierzu sind künstlerische Karten mit Botschaften zum Versenden entstanden, die auf die prekären Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden hindeuteten. Insgesamt hatten wir zu all den Projekten zahlreiche Kooperationen, so zum Beispiel mit dem Apartment Project Berlin, dem bereits erwähnten Haus der Jugend Fuchsbau, der Kinderfreizeiteinrichtung GraefeKids, Kolumbus-Grundschule oder auch der Technischen Universität Braunschweig. Insgesamt waren sechs Künstler*innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen mit dabei: Selda Asal, Stephanie Hanna, Michael Fesca, Marina Sorbello, Sabine Reinfeld und Corinna Weiner. Die Strahlkraft war wirklich beeindruckend.

Arbeiten aus dem "Kochbuch" des bbk zum Thema Nachhaltigkeit. Fotos: Tanja Schnitzler


CCB Magazin: Beim Lesen der Broschüre fällt auf, dass die soziale Frage im Vordergrund stand. Die ökologische Dimension kommt kaum vor. Was ist der Grund dafür? Und ist das nicht ein bisschen zu dünn, sich nur auf die soziale Frage zu konzentrieren? 

Wibke Behrens: Das haben wir ja nicht, auch ökologische Fragestellungen kamen immer wieder vor. Aber ja, die soziale Dimension überwiegt. Das hat letztlich damit zu tun, dass wir gemeinsam an der Lebenswirklichkeit der Künstler*innen und Beteiligten angesetzt haben. Auch war uns wichtig, dass die Künstler*innen nicht solitär vorgehen und ihre Konzepte alleine durchplanen und durchziehen – wir wollten eine Offenheit kreieren, die Platz für die unterschiedlichsten Belange schafft. Das erfordert Mut, sich dem Offenen hinzugeben und sich einzulassen.

Kunst legt die Schwachstellen offen, Kunst dokumentiert, hält der Gesellschaft den Spiegel vor und besetzt die Nischen. Und Kunst ist umso wichtiger in einer Zeit, in der die Spaltungen zunehmen

CCB Magazin: Welche Rolle kommt der Kunst im aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs zu? 

Wibke Behrens: Kunst legt die Schwachstellen offen, Kunst dokumentiert, hält der Gesellschaft den Spiegel vor und besetzt die Nischen. Und Kunst ist umso wichtiger in einer Zeit, in der die Spaltungen zunehmen. Wir kommen darum nicht umhin, der Kunst in der Gesellschaft einen zentralen Platz zuzuweisen.  

CCB Magazin: Aber wird die Rolle der Kunst im Nachhaltigkeitsdiskus nicht überschätzt? Wenn Kunst die Verhältnisse kommentiert, gibt es keinen Aufschrei mehr. Brauchen wir nicht eher Lösungen, die von der Industrie kommen? Nimmt sich die Kunst nicht zu wichtig? 

Wibke Behrens: Erst einmal: ja. Die Kunst nimmt sich wichtig. Das muss aber auch so sein, um als Künstler*in gesehen zu werden und überleben zu können. Darum standen bei uns auch vorranging Nachhaltigkeitsziele wie “Weniger Ungleichheiten”, “Gesundheit und Wohlbefinden” oder “Hochwertige Bildung” im Zentrum. Man muss aber auch sagen: Künstler*innen sind oft von ihrer eigenen Idee so begeistert, dass sie die ökologischen Ressourcen gegebenenfalls erst einmal außen vorlassen. Das hat damit zu tun, dass der Geldbeutel oft klamm ist und man sich um die eigene Existenzfrage dreht. Im nächsten Schritt lassen viele Künstler*innen oft aber auch ihre eigenen Kräfte und finanziellen Ressourcen außer Acht – dabei beschränken sich Prozesse der sozialen Ungleichheit nicht nur auf die Kunst, sie spiegeln gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wider. Und zur Industrie: Zweifelsohne kommen viele der bahnbrechenden Lösungen im ökologischen Bereich heute aus der Industrie. Kunst ist aber nicht dafür da, um Lösungen zu präsentieren. Kunst reflektiert, schafft Räume, braucht Räume. 

CCB Magazin: Berlin war mal ein Ort der freien Entfaltung, ein Platz der Kunst fern von ökonomischer Verwertung. Jetzt wird die Stadt immer teurer und immer mehr von jungen Unternehmen dominiert – viele von ihnen stehen für eine neue nachhaltige Entwicklung. Hat die Kunst in Berlin ihre Vormachtstellung verloren? 

Wibke Behrens: So weit würde ich nicht gehen. Es gibt im Ausland ja noch immer den gleichen Lobgesang auf Berlin und die freie Szene. Zurecht! Aber klar: Die Stadt hat sich verändert, und damit verändert sich auch die Stellung für die hier lebenden Künstler*innen. Genau darum dürfen wir die Nachhaltigkeitsfrage auch nicht der Wirtschaft, Profitabilität und Gewinnmaximierung überlassen und sie auch auf keine betriebsbezogene ökologische Problemstellung reduzieren. Wir müssen uns auch fragen: Wie nachhaltig ist dieses System? Wie nachhaltig ist diese Stadt als Lebensraum? Und genau zu diesen Fragen kann Kunst anregen und etwas Entscheidendes beitragen.

Wir dürfen die Nachhaltigkeitsfrage nicht nur der Wirtschaft, Profitabilität und Gewinnmaximierung überlassen und sie auch auf keine betriebsbezogene ökologische Problemstellung reduzieren. Wir müssen uns auch fragen: Wie nachhaltig ist dieses System? Wie nachhaltig ist diese Stadt als Lebensraum?

CCB Magazin:Nachhaltigkeit war lange Zeit ein Gegenentwurf und Aufschrei in der Gesellschaft. Jetzt wird sie immer mehr zur Pflicht, man nehme als Beispiel die neuen Berichtspflichten für Unternehmen im Bereich CSRD. Wie verändert der Druck, nachhaltig zu werden, den Kunstbetrieb und die freie Kunst? Schreckt es Künstler*innen nicht ab, sich Entwicklungen anzuschließen, die vermehrt als Vorgaben gelten?  

Wibke Behrens: Das ist eine gute Frage, in bestimmten Kreisen wird das so sein. Es geht aber auch noch immer darum, die Nischen zu besetzen. Ich kenne beispielsweise kaum noch Veranstaltungen, wo Künstler*innen mal ebenso für einen Vortrag eingeflogen werden – weil das die entsprechenden Personen auch immer weniger wollen. Auf der anderen Seite nimmt der Druck, nachhaltig zu werden, ersichtlich zu. Aber eben nicht nur, weil die Politik Dinge einfordert oder über entsprechende Förderprogramme Nachhaltigkeit forciert, was ganz wichtig ist. Es gibt auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit, nachhaltig zu werden – die Erde erwärmt sich, die Spaltungen in der Gesellschaft nehmen zu.

CCB Magazin: Was macht der bbk eigentlich, um nachhaltiger zu werden? Und was wollt ihr noch alles im Bereich der Nachhaltigkeit erreichen? 

Wibke Behrens: Wir haben eine große Papier- und Druckwerkstatt und fragen uns wie so viele anderen Einrichtungen: Was können wir alles tun? Wie sparen wir Ressourcen ein? Wie haushalten wir mit unseren eigenen Ressourcen nachhaltig – und wie werden wir barriereärmer? Bei uns fängt Nachhaltigkeit beim Ökostrom an, führt über das Recyceln und Erfinden von innovativen Materialien bis hin zur genannten Workshopreihe. Und zentral ist für uns immer auch die Frage nach den Räumen in der Kunstproduktion. Gerade sind wir dabei, über Climate4Culture ein Tandemprojekt mit einem Teilnehmer aus der Industrie aufzubauen, dafür wurden wir ausgewählt, das freut uns sehr. Das heißt: Wir werden das Thema Nachhaltigkeit weiter voranbringen. Entlang unserer Schwerpunkte und Aufgaben als bbk berlin – ich bin gespannt, was uns alles gelingen wird. 

Rubrik: Innovation & Vision

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