Nachhaltigkeit, New Work Zurück

Christoph Harrach: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“

Christoph Harrach: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“
Foto: © Thomas Kierok

Unternehmen transformieren sich immer mehr in Richtung Nachhaltigkeit, teilweise weil sie das müssen. Eine Möglichkeit, das soziale und ökologische Engagement freiwillig in den Vordergrund zu stellen, stellt die Gemeinwohl-Bilanz dar. Was verbirgt sich dahinter? Für wen eignet sie sich und wie hilfreich kann sie für Kreativschaffende sein? Wir sprachen darüber mit dem Nachhaltigkeits-Ökonom Christoph Harrach, der zur Gemeinwohl-Ökonomie berät und ein Buch verfasst hat.
 

INTERVIEW  Jens Thomas 

 

CCB Magazin: Hallo Christoph, du bist Nachhaltigkeitsforscher, berätst Unternehmen, Städte und Kommunen zur Gemeinwohlorientierung und hast gerade ein Buch zur „Transformation von Unternehmen mit der Gemeinwohl-Ökonomie“ geschrieben. Bevor wir ins Detail gehen, stell dich doch bitte erst einmal vor. 

Christoph Harrach:Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren beruflich mit dem Thema Nachhaltigkeit. Zunächst habe ich als Abteilungsleiter bei dem Öko-Pionierunternehmen Hess Natur Textilien gearbeitet, dann fing ich an, über Ökologie, Nachhaltigkeit und Lifestyle zu bloggen – vor rund 18 Jahren habe ich dann die KarmaKonsum-Konferenz ins Leben gerufen, ein Thinktank und eine Fachtagung zur Nachhaltigkeit mit jährlich bis zu 1.000 Teilnehmenden. Das führte mich auch zur Gemeinwohl-Ökonomie. Christian Felber, der die Gemeinwohl-Ökonomie 2010 über sein gleichnamiges Buch mit ins Leben gerufen hat, war dort auch Gast. Seit 2019 arbeite ich zudem als Berater zur Gemeinwohl-Ökonomie, bin praktizierender Yoga-Lehrer und verantworte derzeit das Nachhaltigkeitsmanagement an der TH Ostwestfalen-Lippe. Ach ja, und an der Universität Paderborn unterrichte auch noch zum Thema Nachhaltigkeit mit Schwerpunkt auf die GWÖ.

CCB Magazin:Für alle, die nicht wissen, was die GWÖ ist: Um was handelt es sich dabei?

Christoph Harrach:Die GWÖ ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung mit dem Ziel, das Gemeinwohl und nicht die Profitmaximierung in einer Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Der Begriff Gemeinwohl-Ökonomie kam erstmals 2010 auf. Entwickelt wurde das Konzept in Österreich. Im gleichen Jahr erschien auch das bereits genannte Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber, das die Bewegung in Fahrt gebracht hat. Insgesamt basiert die GWÖ auf sechs Werten: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung – und zu allen Punkten lässt sich eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Mittlerweile haben rund 2.000 Unternehmen weltweit eine solche Bilanz umgesetzt. Etwa 8.000 Personen unterstützen die Bewegung.

Die GWÖ ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung mit dem Ziel, das Gemeinwohl und nicht die Profitmaximierung in einer Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Sie basiert auf sechs Werten: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung



CCB Magazin:Kannst du mal erklären, wie so eine Gemeinwohl-Bilanz abläuft?

Christoph Harrach:Na klar. Grundlage für die Gemeinwohl-Bilanz ist die Gemeinwohl-Matrix, eine Vorlage, die man systematisch bearbeiten kann. Die Gemeinwohl-Matrix ist Open Source, das heißt, jeder kann sie herunterladen und eine Bilanz erstellen, zum Schluss ist alles einsehbar. Die Matrix setzt die Werte der GWÖ in Beziehung zu den wichtigsten Berührungsgruppen oder Stakeholder der Organisation. Diese sind: Lieferant:innen, Finanzpartner:innen, Mitarbeitende, Kund:innen und Marktbegleiter:innen sowie das gesellschaftliche Umfeld. Insgesamt ergeben sich so 20 Matrixfelder, wozu man auf einer 10-er Skala schätzt, wie weit die eigene Organisation in spezifischen Themen entwickelt ist: Null Punkte bedeutet, dass man sich nur an den gesetzlichen Standard hält. Einen Punkt gibt es bereits, wenn ein Problembewusstsein deutlich wird, aber noch keine konkreten Maßnahmen ergriffen wurden. Ein bis drei Punkte bekommt man für erste Maßnahmen. So hat ein Mitarbeiter beispielsweise schon mal den Einkauf auf fair oder ökologisch umgestellt, es gibt aber noch kein entsprechendes Lieferantenmanagement. Vier bis sechs Punkte erhält man für systematische Maßnahmen, wenn beispielsweise ein solches Lieferantenmanagement eingeführt wurde. Und ab sieben Punkten zeigt man vorbildliches Verhalten auf, wenn Maßnahmen nicht nur zum Unternehmenskern gehören, sondern sich auch nicht nur auf einzelne Faktoren beschränken.

CCB Magazin: Und die Punktzahlen werden wie von wem vergeben? 

Christoph Harrach:Im ersten Schritt gibt man sich die Punkte selbst. Im zweiten Schritt werden sie dann von einem GWÖ-Gutachter durch ein Audit-Verfahren überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Man kann darum auch in einzelnen Feldern herabgestuft oder eben aufgestuft werden. Sogar Minuspunkte kann man erhalten, wenn das Verhalten den Zielen der GWÖ entgegensteht. Insgesamt gibt es 1.000 Punkte zu vergeben. Die Bilanz wird alle zwei Jahre auditiert. 

CCB Magazin:Ein Kritikpunkt an der Gemeinwohl-Bilanz lautet, dass die Auditoren von der GWÖ selbst sind. Auch wird kritisiert, dass sie Wettbewerb und Konkurrenz entgegenstehe, die für eine Marktwirtschaft essenziell seien. Zudem würden Eigentums- und Freiheitsrechte eingeschränkt werden, wenn das Gemeinwohl und nicht die Eigentumsanteile am Unternehmen an erster Stelle stünden.

Christoph Harrach:Zum ersten Kritikpunkt: Das stimmt, die Auditoren stammen aus der GWÖ-Bewegung. Es ist also nicht so wie bei der CSRD-Berichterstattung, die zum Schluss von externen Wirtschaftsprüfern abgenommen wird – wobei das wiederum ein Kritikpunkt ist, da die Bewertung eben durch keine Umweltgutachter, sondern durch Wirtschaftsprüfer erfolgt. Den anderen Kritikpunkten kann ich nicht zustimmen. Ein heutiges Wirtschaftssystem, das auf Gewinnmaximierung und Ausbeutung unserer ökologischen Lebensgrundlage basiert, ist nicht zukunftsfähig. So verbrauchen wir aktuell 2,5-Mal so viele Ressourcen, wie die Erde uns bereitstellen kann. Das ist nicht nur ungerecht den nächsten Generationen gegenüber. Es zerstört die Solidarität in unserer Gesellschaft. Und die GWÖ ist zwar wachstumskritisch. Sie spricht sich aber nicht per se gegen Gewinne aus. Ziel ist es, dass Gewinne wieder ins Unternehmen reinvestiert werden. Nur so lässt sich die Zukunft von Unternehmen im Sinne der Nachhaltigkeit langfristig gewährleisten. Letztlich entscheidet auch jeder selbst, was und wieviel er im Sinne der GWÖ einbringen will und kann.

Ein heutiges Wirtschaftssystem, das auf Gewinnmaximierung und Ausbeutung unserer ökologischen Lebensgrundlage basiert, ist nicht zukunftsfähig. Die GWÖ spricht sich nicht per se gegen Gewinne aus. Aber Ziel ist es, dass Gewinne wieder reinvestiert werden. Nur so lässt sich die Zukunft von Unternehmen im Sinne der Nachhaltigkeit langfristig gewährleisten

Der Nachhaltigkeits-Ökonom Christoph Harrach. Foto: Maria Korge


CCB Magazin:Aber besteht darin nicht die Gefahr, dass die GWÖ zu einem Marketinginstrument verkommt, wenn jeder eine GWÖ-Bilanz erstellen kann und entscheidet, was er imstande ist zu leisten?

Christoph Harrach:Ich würde es genau anders herum sehen: Die GWÖ bietet konkrete Transformationswerkzeuge an. Man muss sie ja auch nicht machen. Im Gegenzug zur CSRD-Berichterstattung, die für kapitalmarktorientierte Großunternehmen seit diesem Jahr verpflichtend ist, ist eine GWÖ-Bilanz freiwillig. Und die Unternehmen, die eine solche Bilanz erstellen, haben in der Regel ein hohes Wertebewusstsein und wollen ihr Engagement in den Vordergrund stellen. Die Zeit dafür muss man auch erst einmal haben. Die Bilanzerstellung kann mitunter Monate dauern. In der Regel braucht man für eine Bilanz rund 200 Arbeitsstunden pro Unternehmen, die Berichte haben im Schnitt eine Länge von 60 bis 80 Seiten – zum Schluss ist alles einsehbar und überprüfbar. Mir sind bislang auch keine Fälle bekannt, wo sich Unternehmen oder Gemeinden mit einer Gemeinwohl-Bilanz schmücken würden. Es ist eher umgekehrt: Durch die GWÖ-Bilanzierung findet ein Bewusstseinsprozess statt. Viele kommen darüber erst ins Handeln. Ich kenne bislang kein besseres Managementsystem, das sich zur Bilanzierung in dem Bereich eignet. 

CCB Magazin:Welche Unternehmen oder Organisationen erstellen bislang eine solche GWÖ-Bilanz? Sind das eher kleinere oder mittlere Unternehmen? Dominieren bestimmte Branchen?

Christoph Harrach:Es sind kleinere und mittlere Unternehmen dabei, vor allem aber mittelständig und inhabergeführte. Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz verfasst haben, sind zum Beispiel das Outdoor-Unternehmen Vaude, Öko-Pioniere wie Ökofrost, Bioland oder Voelkel oder auch die Sparda-Bank München, die als erste deutsche Bank eine GWÖ-Bilanz im Bankenbereich erstellt hat – unter den GWÖ-Bilanzierern finden sich Sportvereine, Genossenschaften, Verbände, aber auch Städte und Kommunen. Selbst 15 CSRD-pflichtige Großunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro sind mittlerweile dabei. Und das heißt auch, dass die GWÖ an keine Rechtsform gebunden ist. Je nach Rechtsform unterscheiden sich nur die Aktivitäten. So werden Genossenschaften vermutlich mehr die Mitspracherechte und Transparenz in den Vordergrund stellen, das heißt aber nicht, dass sie ihre Mitarbeiter damit gleich fair behandeln. Andere dagegen priorisieren mehr die ökologischen Faktoren. Es dominiert auch keine Branche: Ob Handel, Konsum, Medizin oder Energiewirtschaft – es ist alles dabei.

Gerade Kulturinstitutionen oder Kreativunternehmen sind oft wertegetrieben. Ich denke, die GWÖ stellt für sie eine gute Möglichkeit dar, um sich zu positionieren

CCB Magazin:Inwiefern eignet sich die GWÖ auch für Kultur- und Kreativschaffende?

Christoph Harrach:Ich würde sagen sehr. Gerade Kulturinstitutionen oder Kreativunternehmen sind oft wertegetrieben. Es dominieren häufig ökologische und/oder soziale Faktoren. Es gibt auch bereits erste Organisationen wie das Beethoven-Haus Bonn, die eine GWÖ-Bilanz erstellt hat. Ich denke, die GWÖ stellt eine gute Möglichkeit dar, um sich in entsprechenden Feldern zu positionieren. Allerdings sind Kreativschaffende häufig solo-selbständig und arbeiten viel. Die GWÖ empfiehlt eine 30-Stunden-Woche. Hier kann die Bilanzierung aufzeigen, wie viel oder ob man zu viel arbeitet, wenn sich Arbeit und Leben derart entgrenzen. Zugleich kann es motivieren, sich weiter oder noch mehr in anderen Feldern zu engagieren.

CCB Magazin:Christoph, zum Schluss: Wo steht die GWÖ in ein paar Jahren? 

Christoph Harrach:Die GWÖ, da bin ich mir sicher, wird weiterwachsen. Es gibt nun eine erste Bundesstrategie „Soziale Innovationen und gemeinwohlorientierte Unternehmen“, auch einen Fördertopf, der bis 2028 ausgerichtet ist. Ein nächster wichtiger Schritt wird sein, an die Bilanzsumme, die man durch die GWÖ-Berichte erhält, steuerliche Konsequenzen zu knüpfen – vergleichbar mit der CO2-Bepreisung. Unternehmen mit einer hohen Bilanzsumme müssten demnach besser besteuert werden als welche, die keine oder eine geringe Punktzahl haben. Dazu muss die GWÖ natürlich noch besser validiert und wissenschaftlich untersucht werden. Aber wir sind im Prozess. Ich bin da ganz positiv und halte es letztlich mit Luther: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen. 

Rubrik: Innovation & Vision

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