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Michelle Reed: "Wir sind das erste Kreislaufsystem für existierende Einwegkartons"

Michelle Reed: "Wir sind das erste Kreislaufsystem für existierende Einwegkartons"
Foto: © sendmepack

Deutschland und die Welt versinkt im Verpackungsmüll. Alleine in Deutschland werden jährlich 4,2 Milliarden Verpackungen versendet. Das Unternehmen sendmepack hat dazu eine Lösung entwickelt und zieht Kartons gezielt aus dem Verkehr – um sie wieder in Umlauf zu bringen. Wir sprachen mit Co-Gründerin  Michelle Reed über Unternehmenskonzept, überbordende Müllberge und Visionen, die es braucht. 
 

INTERVIEW  Jens Thomas 

 

CCB Magazin: Hallo Michelle, Du bist Co-Gründerin von sendmepack. Bevor ich dir Detailfragen stelle, stell dich doch bitte einmal kurz vor. 

Michelle Reed:Hi, ich bin Michelle und eine der Co-Founder von sendmepack, wo ich für Marketing, PR und die Kommunikation zuständig bin. Studiert habe ich angewandte Medienwirtschaft. Gegründet habe ich sendmepack mit meinem Partner Philip. Der kam eines Tages mit der glorreichen Idee eines Mehrwegsystems für Versandkartons auf mich zu. Das hat mich gleich überzeugt. Ich dachte mir: Wenn das keiner macht, machen wir es eben! 

CCB Magazin:Was ist das Konzept von sendmepack? 

Michelle Reed:Unser Ziel ist es, die Branchenlösung für den Onlinehandel zu sein, um die Lebensdauer von Versandkartons zu maximieren. Denn man stelle sich vor, dass im Jahr 2022 weltweit rund 161 Milliarden Pakete verschickt wurden. Alleine in Deutschland waren das 4,2 Milliarden Sendungen, gegenüber 2011 ist das ein Zuwachs von rund 83 Prozent. Bis zu 90 Prozent dieser Kartons sind aber voll funktionstüchtig nach dem ersten Versenden, das heißt, man müsste sie gar nicht aussortieren. Darum greifen wir u.a. Kartonagen gezielt ab, die ansonsten ins Recycling kommen würden – und bringen sie gemeinsam mit unseren Kunden wieder in den Umlauf. Wir sind somit das erste Kreislaufsystem für existierende Einwegkartons.

Unser Ziel ist es, die Branchenlösung für den Onlinehandel zu sein, um die Lebensdauer von Versandkartons zu maximieren. Dazu greifen wir gezielt Kartonagen ab, die ansonsten ins Recycling kommen würden – und bringen sie wieder in Umlauf

CCB Magazin:Ihr kommt also dem Recycling zuvor. 

Michelle Reed:Ganz genau. Wir haben natürlich nichts gegen das Recycling, ganz im Gegenteil. Deutschland ist im Recycling ja ohnehin Weltmeister. Aber die Kartons kommen eben bereits nach einmaliger Nutzung ins Recycling. Diesen Prozess wollen wir so lange wie nur möglich hinauszögern, indem wir die Nachfrage nach neu produzierten Kartons senken – diesen Prozess nennt man gewöhnlich Precycling.

CCB Magazin:Kannst du mal erklären, wie das genau funktioniert? Wie kommen die Kartons zu euch und wie bringt ihr sie wieder in Umlauf? 

Michelle Reed:Die Kartons, die in unserem Webshop erhältlich sind, fangen wir in unseren Logistikzentren ab, eines davon ist in Nürnberg. Dort haben auch andere große Zuliefererfirmen ihre Packstationen, das ist ganz praktisch, da wir so die Kartons problemlos abgreifen können. Viele wenden sich sogar an uns, weil sie bestimmte Größen nicht mehr benötigen, ihr Geschäft schließen oder eine Überproduktion haben – würden wir diese Kartons nicht abkaufen, würden sie unbenutzt ins Recycling gehen. Wir sichten dazu die Kartons, sortieren die aus, die man nicht mehr verwenden kann, entfernen bei den brauchbaren hier und da mal ein paar Klebereste – zum Schluss werden sie mit einen sendmepack-QR-Code versehen. Schon sind sie versandfertig. Zudem haben wir ein deutschlandweites Rückgabenetzwerk etabliert, bei dem alle sendmepack-Kartons zurückgegeben werden können. 

Oben: Die sendmepack-Lagerhallen. Unten: Michelle Reed. Fotos: sendmepack
 

CCB Magazin:Wer bestellt die Kartons, sind das Einzelkunden oder Händler? 

Michelle Reed:Sowohl als auch. Unsere Kartons sind für jeden und alle Onlineshops geeignet. Aktuell haben wir 135 verschiedene Größen im Programm. Die liefern wir innerhalb von ein bis drei Tagen aus.

CCB Magazin:Wenn ich richtig informiert bin, fehlen euch bislang aber gerade die großen umsatzstärksten Online-Shops, die rund 80 Prozent des Versandvolumens im Bereich E-Commerce in Deutschland ausmachen. 

Michelle Reed:Wir mussten uns zuerst in der Branche etablieren und ein Modell entwickeln, das dem Volumen der großen E-Commerce-Anbieter standhalten kann. Nach drei Jahren am Markt ist uns dies nun mit der neuesten Weiterentwicklung unseres Geschäftsmodells gelungen.

CCB Magazin:Und das sieht wie aus? 

Michelle Reed:Wir haben zwei Neuerungen eingeführt: Erstens gehen wir jetzt direkt in geschlossene Kreisläufe. Zweitens produzieren wir gemeinsam mit unseren Kunden Mehrweg-Versandkartons, die an unser System angebunden sind und mit dem fortschrittlichsten und nachhaltigsten Digitaldruck versehen werden. Das ist ein großer Gewinn für den E-Commerce. Diese Schritte sind die logische Konsequenz aus den Erfahrungen der letzten Jahre und den Bedürfnissen unserer Kunden. Besonders umsatzstarke Unternehmen im E-Commerce haben hohe Retourenquoten, insbesondere im Fashion-Bereich, wo 50 bis 70 Prozent der Ware zurückgeschickt werden. Diesen Händlern ermöglichen wir es nun, ihre Kartons mehrfach zu nutzen, was erhebliche Kosten spart. Wir entwickeln spezielle Labels, die im Retourenmanagement an den zurückgesendeten Kartons angebracht werden. Diese Kartons können dann neu befüllt und wieder an den nächsten Kunden versendet werden. Zusätzlich bieten wir ein eigens konzipiertes Dashboard an, das unter anderem die Einsparpotenziale von CO₂ identifiziert. Auch an der optimalen Konstruktion der Kartons arbeiten wir kontinuierlich. Dabei kooperieren wir mit einem der größten Wellpapphersteller in Europa.

Besonders umsatzstarke Unternehmen im E-Commerce haben hohe Retourenquoten, insbesondere im Fashion-Bereich, wo 50 bis 70 Prozent der Ware zurückgeschickt werden. Diesen Händlern ermöglichen wir es nun, ihre Kartons mehrfach zu nutzen, was erhebliche Kosten spart

CCB Magazin:Wie viel CO₂ lässt sich über euer System am Ende einsparen? 

Michelle Reed:Etwa 42 Prozent der Emissionen werden bereits bei der einmaligen Wiederverwendung eingespart. Diese Zahlen konnten wir in Zusammenarbeit mit der TU Nürnberg ermitteln. 

CCB Magazin:Mal blöd gefragt, welchen Vorteil haben die Kunden eigentlich von eurer Lösung? Wäre es für die nicht einfacher, die Kartons ins Recycling zu schicken? 

Michelle Reed:Das könnte man meinen, gerade die Online-Shops profitieren aber von der Wiederverwendung ihrer Kartons anstelle der Entsorgung im Recycling: Sie senken ihre Kosten für die Anschaffung neuer Kartonagen. Zudem können sie durch das Tracking mittels des QR-Codes und dem Dashboard in Echtzeit überwachen, wie viel CO2 eingespart wird. 

CCB Magazin:Ihr seid jetzt drei Jahre alt und wart sogar schon bei der „Höhle des Löwen“. Anfangs hattet ihr nicht mal eine Webseite, jetzt seid ihr ein führendes Unternehmen. Welchen Rat würdest du anderen geben, die mit einer ähnlichen Idee nach vorne gehen wollen? 

Michelle Reed:Beim Gründen gehört immer eine ordentliche Portion Mut dazu. Gerade dann, wenn man als erster mit einer neuen Idee um die Ecke kommt. Das hat zwar den Vorteil, den Markt für sich erschließen zu können, man macht aber auch Fehler, bis sich der Erfolg einstellt. Und je größer die Idee, desto mehr Kapital braucht man, gerade in der Anfangsphase. Daher sollte man immer mit höheren Kosten rechnen, als ursprünglich geplant. Wenn ihr klassischerweise auf Venture Capital setzt, nehmt euch die Zeit, genau zu prüfen, wer im Portfolio der Investoren vertreten ist, welchen Mehrwert sie bieten und wie gut sie zu eurem Vorhaben passen. Und dann: dran bleiben!

CCB Magazin:Wie finanziert ihr euch? 

Michelle Reed:Als klassisches Startup haben wir in den letzten drei Jahren kontinuierlich auf Venture Capital gesetzt und mehrere Finanzierungsrunden durchlaufen. Bislang konnten wir uns noch nicht aus dem eigenen Cashflow finanzieren, aber das ändert sich gerade. Seit Mai dieses Jahres haben wir die LTG KG und Turtlebox GmbH als Partner an Bord. Mit diesen beiden Partnern freuen wir uns auf eine langfristige und organische Wachstumsentwicklung und darauf, aus den Start-Up-Schuhen herauszuwachsen.

CCB Magazin:Wieso kam eigentlich zuvor noch keiner auf eure Idee? Die ließe sich ja von jedem problemlos umsetzen. 

Michelle Reed:Das stimmt, diese Frage wurde uns schon öfter gestellt. Durch unseren technischen Ansatz bieten wir einen großen Mehrwert, der nicht einfach von anderen selbst umgesetzt werden kann. Unser Ziel ist es, den Prozess zu vereinfachen und als Zwischeninstanz aufzutreten. So erleichtern wir allen die Arbeit und sorgen für eine reibungslosere Abwicklung.

CCB Magazin:Letzte Frage, eine neue EU-Verordnung sieht vor, dass ab 2030 jede Verpackung recycelbar sein muss. Ist das euer Ende, weil eure Idee dann andere umsetzen oder kommt ihr dadurch erst richtig ins Spiel? Was habt ihr langfristig vor? 

Michelle Reed:Wir sind der Zeit voraus, denn die neuen EU-Regelungen werden dazu führen, dass alle irgendwann auf Mehrwegsysteme setzen – das gilt auch für die Online-Shops. Unser Vorteil ist, dass wir jetzt schon ein mehrwegfähiges Produkt haben. Darum freuen wir uns natürlich, dass die EU endlich anzieht. Wir stehen vor einer aufregenden Zeit, da wir künftig alle nachhaltiger werden und nach Lösungen suchen müssen. Wir verfolgen diesen Ansatz bereits jetzt und werden ihn auch künftig fortführen – mit vielen weiteren Onlinehändlern.

Rubrik: Innovation & Vision

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