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Annekathrin Grüneberg: "Algen wachsen zwanzig Mal schneller als Bäume"

Annekathrin Grüneberg: "Algen wachsen zwanzig Mal schneller als Bäume"
Foto: © mujo

Sie wollen aus Algen ein Verpackungsmaterial erschaffen, das kompostierbar ist und so gut wie Kunststoffverpackungen schützt. Sie, das sind Annekathrin Grüneberg, Juni Sun Neyenhuys und Katharina Kremer – zusammen bilden sie das Team von mujō, was im Japanischen die Unbeständigkeit alles Seienden bedeutet. Wie vielversprechend ist ihre Entwicklung?

 

INTERVIEW  Boris Messing    

 

CCB Magazin: Hallo Annekathrin, du bist Wirtschaftsingenieurin für Chemie- und Verfahrenstechnik und hast gemeinsam mit den Designerinnnen Juni Sun Neyenhuys und Malu Lücking mujō gegründet. Euer Ziel ist es, Plastikprodukte durch algenbasierte, biologisch abbaubare Produkte zu ersetzen. Genauer gesagt stellt ihr Verpackungsmaterial aus Seetang her. Warum Algen, warum Seetang?

Annekathrin Grüneberg: Unser Ziel ist es, ein Verpackungsmaterial zu entwickeln, das Produkte so gut schützt wie Kunststoffverpackungen. Gleichzeitig soll dieses Material kompostierbar sein. Dafür ist es hilfreich, wenn auch das Ausgangsmaterial kompostierbar ist und bestenfalls auf einem Rohstoff basiert, der leicht nachwächst. Braunalgen sind da spannende Rohstoffquellen. Der Vorteil von Algen ist nicht nur, dass sie natürlich im Meer wachsen, sondern auch dass sie kein Wasser, keine Ackerfläche und fast keinen Dünger brauchen. Sie wachsen ungefähr zwanzig Mal schneller als Bäume und binden wie diese CO2. Man kann sie gut Offshore züchten oder aus dem Meer ernten.

CCB Magazin:Wie schwierig ist es, an euer Ausgangsmaterial heranzukommen?

Annekathrin Grüneberg:Wir ernten die Algen nicht selber und verwenden als Grundlage für unser Verpackungsmaterial Alginat, ein Kohlenhydrat, das aus den Braunalgen extrahiert wird. Dieses Alginat kaufen wir bisher von europäischen Anbietern. Allerdings haben wir uns noch nicht festgelegt, wo wir künftig kaufen werden und welches Alginat wir genau nehmen. Einer dieser Anbieter ist beispielsweise an der Atlantikküste in der Bretagne.

CCB Magazin:An wen oder für welchen Zweck wird das Alginat denn sonst verkauft?

Annekathrin Grüneberg:Algenextrakt wird zum Beispiel in der Pharmaindustrie verwendet als Wundauflage oder in der Medizintechnik für Zahnabdrücke, Papier wird damit beschichtet und natürlich wird es vielseitig in der Lebensmittelindustrie als Verdickungsmittel verwendet.

Unser Ziel ist es, ein Verpackungsmaterial zu entwickeln, das Produkte so gut schützt wie Kunststoffverpackungen. Wir wollen das mit Algen machen. Der Vorteil davon ist, dass sie natürlich im Meer wachsen und kein Wasser, Ackerfläche und fast keinen Dünger brauchen

CCB Magazin:Was stellt ihr alles mit dem Alginat her? Seid ihr noch in der Entwicklungsphase oder habt ihr bereits ein fertiges Produkt?

Annekathrin Grüneberg:Wir befinden uns noch in der Entwicklung, sind aber schon sehr gut vorangekommen. Wir haben vor, eine transparente, flexible Folie zu produzieren, die dann zu Verpackungen weiterverarbeitet werden kann. Unsere Folie könnte man beispielsweise als Sichtfenster in Kartonverpackungen verwenden oder als Flowpack. Das hängt davon ab, welche Eigenschaften unser Material am Ende aufweist. Da experimentieren wir wie gesagt noch. Non-Food-Artikel lassen sich in jedem Fall problemlos damit verpacken, bei Lebensmitteln wird das schon schwieriger. Das Material ist ja biologisch abbaubar, das heißt, es kommt sehr darauf an, wie es gelagert wird. Es muss auf jeden Fall trocken gelagert sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es sich zersetzt. Das ist ja der Unterschied zu erdölbasierten Kunststoffen.

CCB Magazin:Vielleicht kannst du mal etwas ausführlicher euer Herstellungsverfahren erläutern.

Annekathrin Grüneberg:Da kann ich jetzt nicht ins Detail gehen, das ist Geschäftsgeheimnis. Aber man kann das auch ganz gut selbst zu Hause ausprobieren. Dafür nimmt man das Alginat, mischt es mit Glycerin und Wasser, gießt alles auf eine Platte, lässt es trocknen und schon hat man einen transparenten Film. So kann man daraus eine Verpackungsfolie machen. Da ist keine Magie dabei. Einfach Küchenchemie!



Verpackungsfolie aus Algenextrakt. Fotos: mujō

CCB Magazin:Gibt es eine Entstehungsgeschichte zu mujō? Wer kam auf die Idee dazu?

Annekathrin Grüneberg:Initiatorin des Ganzen ist Juni gewesen. Die hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert und sich mit Braunalgen auseinandergesetzt, aus denen sie einen Garn entwickeln wollte. Dabei kam sie naturwissenschaftlich an ihre Grenzen und hat sich an der TU Berlin nach Hilfe umgeschaut. Das war 2018. Ein Professor hat sie dann mit mir in Kontakt gebracht. Zusammen mit Juni und Malu haben wir im Kontext meiner Masterarbeit und deren Uniprojekt mehrere Monate mit Algen geforscht, und daraus ist dann die Idee entstanden, aus dem Alginat ein Verpackungsmaterial herzustellen. Später haben wir eine OHG, eine offene Handelsgesellschaft, gegründet.

CCB Magazin:Was passiert mit eurer Folie, wenn sie abgenutzt ist? Wie und wo wird sie entsorgt?

Annekathrin Grüneberg:In unserem Verpackungsmaterial ist alles biologisch abbaubar, weil wir Ausgangsstoffe nicht chemisch verändern. Wer also einen Heimkompost hat, kann unser Material dort getrost entsorgen. In unserer Wunschwelt kann man unsere Algenfolie einfach in die Biotonne werfen, der Abfall würde zur Kompostieranlage gebracht und dann dort zu Kompost verrotten, aber das geht so leider nicht. Es ist so, dass die DIN-Normen, anhand derer die Kompostierbarkeit bestimmt wurde, selten zu den realen Kompostierbedingungen in den Kompostieranlagen passen. Es ist z.B. wahrscheinlich, dass die Aufenthaltsdauer von Bioabfall in einer solchen Anlage in der Realität wesentlich kürzer ist, als im Kompostierbarkeitstest geprüft. Das hat zur Folge, dass als kompostierbar eingestufte Folie am Ende nicht vollständig abgebaut wird. Hinzu kommt, dass Kompostieranlagenbetreiber es mit sehr verunreinigten Bioabfall zu tun haben, der unter anderem mit Plastikfolie durchsetzt ist. Die nicht verrotteten Algenfolien lassen sich vermischt mit all dem anderen Bioabfall nicht mehr von Plastikfolien unterscheiden, werden gemeinsam aussortiert und müssen zu Lasten der Kompostieranlagenbetreiber kostspielig entsorgt werden. Meist landen die Reste in der Müllverbrennungsanlage. Solange diese Probleme nicht gelöst sind, ist es völlig nachvollziehbar, dass die BSR die Entsorgung von Bioplastik in Ihren Biotonnen untersagt.

Wer einen Heimkompost hat, kann unser Material dort getrost entsorgen. In unserer Wunschwelt kann man unsere Algenfolie auch in die Biotonne werfen, aber das geht leider noch nicht. Derzeit ist die Entsorgung von Bioplastik in Biotonnen untersagt

CCB Magazin:Braucht es also womöglich eine neue Entsorgungsinfrastruktur für solche neuen Materialien?

Annekathrin Grüneberg:Womöglich ja. Da sind noch viele Fragen offen. Es gibt noch viel mehr biologisch abbaubare Materialien, die gerade entwickelt werden, wir sind ja nicht die Einzigen und sind im Kontakt mit anderen, die vor ähnlichen Problemen stehen, und tauschen uns regelmäßig aus.

CCB Magazin:Das heißt, wenn die Algenfolie nicht in den Biomüll darf, kommt sie in den Restmüll und wird verbrannt?

Annekathrin Grüneberg:Genau. Sie könnte auch in den Papiermüll kommen, würde dort aber auch von den Papierfasern getrennt und in der Müllverbrennungsanlage landen. An dem Algenmaterial haben Papierhersteller kein Interesse, weil sie aus dem weggeworfenen Papier Altpapier gewinnen wollen. Das geht mit Algen nicht. Als legaler Entsorgungsweg käme der Papiermüll jedoch in Frage. Wenn man keinen Heimkompost hat, kann man sich den ganzen Entsorgungsumwege auch sparen und das Material gleich in die schwarze Tonne werfen, das ist aktuell das zweitbeste Entsorgungsszenario, aber nicht unser Ziel.

CCB Magazin:Wie finanziert ihr euer Projekt?

Annekathrin Grüneberg:Wir haben uns über die DesignFarm für das Berliner Startup-Stipendium beworben und es auch bekommen. Das war kurz vor der Corona-Pandemie, also perfektes Timing. Uns wurde dann nahegelegt, das Projekt noch für weitere Förderungen zu pitchen, und wir dann an einem Ideenwettbewerb von Philip Morris teilgenommen und wurden überraschend von 1600 Bewerbern als Gewinner ausgewählt. Ausgeschrieben waren 400.000 Euro Preisgeld! Das waren mehrere Runden, und wir mussten unsere Idee immer weiter verbessern. Zusammen mit einem Forschungsinstitut, der Papiertechnischen Stiftung in Heidenau, haben wir darum mehrere Monate an unserem Konzept geforscht – was sich am Ende ausgezahlt hat. Zusätzlich haben wir noch einen Forschungsantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gestellt und eine zweieinhalbjährige Förderung erhalten.

CCB Magazin:Und das Preisgeld von Philip Morris hat euch nicht vor ein moralisches Dilemma gestellt? Immerhin gehört das Unternehmen zu einer Industrie, die sich in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Annekathrin Grüneberg:Wir haben darüber diskutiert. Wenn wir das Geld annehmen, dann ist Philip Morris ja Teil unserer Geschichte. Aber es gab keine Auflagen vom Konzern, und darum mussten wir auch nichts tun, was wir nicht hätten tun wollen. 

CCB Magazin:Zum Schluss: Was ist die große Vision für mujō?

Annekathrin Grüneberg:Unsere Vision ist, dass unsere Materialien allen Konsumenten zugänglich ist und sie die Möglichkeit haben, diese zu kompostieren. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Rubrik: Innovation & Vision

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