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Susanne Guth-Orlowski: "Es braucht einen leichten Einstieg zur Entscheidungsfindung"

Susanne Guth-Orlowski: "Es braucht einen leichten Einstieg zur Entscheidungsfindung"
Foto: © Foto Naus

Ein digitaler Produktpass soll eingeführt werden, um nachhaltigere, zirkuläre und reparierbare Produkte zu stärken. Wie sinnvoll kann er sein? Dr. Susanne Guth-Orlowski ist technische Beraterin der Global Battery Alliance, externe Expertin der Europäischen Kommission für den Digitalen Produktpass und Gründerin der Beratungsagentur 4TheRecord – wir sprachen mit ihr über den Pass der Zukunft.
 

INTERVIEW  Boris Messing    

 

CCB Magazin: Hallo Frau Guth-Orlowski. Im Dezember 2023 einigte sich die EU darauf, eine Regelung für nachhaltigere, mehr zirkuläre und reparierbare Produkte zu finden – die sogenannte Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR). Ein zentraler Hebel dafür soll der Digitale Produktpass (DPP) sein. Um was handelt es sich dabei?

Susanne Guth-Orlowski: Grundsätzlich ist der Digitale Produktpass dazu da, dass man Produkte am Ende ihres Lebenszyklus besser wiederbenutzen, reparieren oder recyceln kann. Man will damit die Zirkularität und Lebenslänge von Produkten verbessern. Zusätzlich möchte man auch die Herstellungsumstände verbessern. Die ESPR war ja die zweite Initiative, die den Digitalen Produktpass per Gesetz verlangt. Die erste war die Batterierichtlinie. Und in der Batterielieferkette haben wir insbesondere Schwierigkeiten bei den Herstellungsbedingungen und der Beschaffung der Rohmaterialien. Da geht es um Kinderarbeit, mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, starke Umweltverschmutzung, Korruption etc. Auch das soll durch den DPP transparenter gemacht und bekämpft werden. Der Kunde soll am Ende durch diese Transparenz in die Lage versetzt werden, bessere Kaufentscheidungen zu treffen.

CCB Magazin:Welche Informationen soll der DPP enthalten und wie werden diese Informationen entlang der Wertschöpfungskette einsehbar?

Susanne Guth-Orlowski:Die Informationen des DPP variieren von Produkt zu Produkt. Allgemein sind es aber Kriterien wie Herstellungsbedingungen, CO2-Fußabdruck oder Wasserverbrauch, aber auch die Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit oder Rezyklierbarkeit eines Produkts. Nicht alle Informationen sind entlang der gesamten Wertschöpfungskette einsehbar, bis auf die oben genannten allgemeinen Informationen. Prinzipiell kommt es auf die Art des Produkts an, was von wem einsehbar sein wird und wo genau man in der Wertschöpfungskette steht. Die EU-Kommission spricht hier vom Need-to-Know-Prinzip. Informationen zu den genauen Bestandteilen eines Produkts sind zwar wichtig, um zu wissen, welche Teile oder Komponenten sich wiederverwenden lassen oder wie man ein Produkt reparieren kann. Es handelt sich dabei aber auch um geschäftskritische Daten, die nicht jeder einsehen dürfen sollte. Das alles gilt es sorgfältig abzuwägen.

Der Digitale Produktpass ist dazu da, dass man Produkte am Ende ihres Lebenszyklus besser wiederbenutzen, reparieren oder recyceln kann. Auch die Herstellungsbedingungen sollen verbessert werden. Der Kunde soll durch diese Transparenz in die Lage versetzt werden, bessere Kaufentscheidungen zu treffen

CCB Magazin:Wie und wo werden die Daten des DPP gespeichert?

Susanne Guth-Orlowski:Die EU-Kommission hat entschieden, dass die Daten dezentral gespeichert werden sollen. Das bedeutet, dass die Produktdaten bei dem jeweiligen Hersteller verbleiben, der diese Daten herausgibt, kontrollieren kann und auch verantworten muss. Der DPP ist das erste politische Instrument überhaupt, bei dem die Daten dezentral gespeichert werden. Das erspart Bürokratie und erschwert Cyberangriffe.

CCB Magazin:Und wie bekomme ich als Kunde die Informationen eines DPP präsentiert?

Susanne Guth-Orlowski:Der Kunde gelangt an den Digitalen Produktpass über einen sogenannten Data Carrier, das kann beispielsweise ein QR-Code auf dem Produkt sein oder auch ein integrierter NFC- oder RFID-Chip. Der Kunde liest diesen ein und bekommt die Daten des Produktpasses ähnlich wie eine Webseite angezeigt.

CCB Magazin:Dem DPP liegt also die Idee zu Grunde, dass Informationen zu sozialen und ökologischen Herstellungsbedingungen eines Produkts zu besseren Kaufentscheidungen seitens der Kunden führen, um Produkte langfristig zirkulärer zu machen. Eine Parallele dazu gibt es zum Tierwohl-Label oder Nutri-Score in der Lebensmittelindustrie. Aber wer garantiert, dass es am Ende auch funktioniert? Worauf gründet sich diese Annahme?

Susanne Guth-Orlowski:Das ist eine entscheidende Aufgabenstellung, an deren Lösung gerade noch gearbeitet wird. Nehmen wir als Beispiel die Batterie. Am Ende zielt man darauf ab, eine Art von Scoring zu entwickeln. Da werden jetzt in detaillierter Feinarbeit die unterschiedlichsten Aspekte einer Batterie auf den Tisch gelegt und bewertet. Das betrifft wie gesagt nicht nur die Herstellung oder materielle Zusammensetzung, sondern auch den CO2-Fußabdruck und die Arbeits- und Herstellungsbedingungen. Alle diese qualitativen Kriterien müssen am Ende in einem Gesamtscore münden, der die Nachhaltigkeit eines Produkt bewertet. Das heißt, dass bei der Herstellung einer Batterie am Ende jeder Arbeitsprozess bewertet und nach festgelegten Standards in einen Score übersetzt wird – die einzelnen Scores bzw. qualitativen Attribute der Arbeitsprozesse werden in einem Gesamtscore ausgedrückt. Als Kunde kann man dann einfach und direkt sehen, wie hoch der Score eines Produktes ist und damit seine Nachhaltigkeit einschätzen. Es bleibt allerdings offen, was der Kunde dann mit dieser Information tatsächlich macht.

Der Kunde gelangt an den Digitalen Produktpass über einen Data Carrier. Es wird am Ende eine Art von Scoring geben, bei dem nicht nur die Herstellung oder materielle Zusammensetzung, sondern auch der CO2-Fußabdruck und die Arbeits- und Herstellungsbedingungen eines Produkts qualitativ erfasst werden

CCB Magazin:Der DPP baut seine Wirkung auf die Mündigkeit des Konsumenten. Der Kunde entscheidet anhand des Scores, ob er ein bestimmtes Produkt kauft oder nicht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Hersteller von Produkten sich gezwungen sehen, ökologisch oder sozial nachhaltiger herzustellen. Ist das nicht zu schwach als Hebel?

Susanne Guth-Orlowski:Im Moment muss man zuerst einmal dieses Konstrukt aufbauen, den Status Quo feststellen. Der nächste Schritt könnte dann sein, dass die EU bestimmte Produkte unter einem Score von sagen wir einmal 40 nicht mehr zulässt – und damit Druck auf die Hersteller ausübt. Oder Produkte, die bei der Herstellung zu viel CO2 verbrauchen, werden extra besteuert. Aber klar, die Frage ist, wie wird sich der Kunde entscheiden, wenn er über einen QR-Code nachvollziehen kann, dass Kinderarbeit in der Lieferkette eines Produkts eine Rolle gespielt hat. Was machen wir dann? Ignorieren wir das? Kaufen wir das Produkt nicht? Eine andere Möglichkeit wäre, dass die EU solche Produkte nicht mehr auf den Markt lässt, aber die Menschen wollen doch zugemutet bekommen, wie Sie sagen, selbst mündige Entscheidungen zu treffen. Hier wird der DPP politisch!

CCB Magazin:Der DPP soll ab Februar 2027 zuerst für die Produktion von Batterien verpflichtend sein. Dann sollen weitere Produktgruppen folgen, wie beispielsweise die Bereiche Textil, Möbel oder Spielzeug. Bedeutet das, dass jeder Designer oder Modeschöpfer bis dahin einen DPP seiner Waren erstellt haben muss?

Susanne Guth-Orlowski:Ja, so ist es. Das heißt, womöglich gibt es auch einen gewissen Schwellenbereich, unter dem man keinen DPP braucht, sagen wir ein Modeschöpfer, der nur eine sehr kleine Kollektion hat oder so. Das steht aber alles noch nicht fest.

CCB Magazin:Inwiefern könnte die Kreativwirtschaft von den Anforderungen des DPP betroffen sein?

Susanne Guth-Orlowski:Das kommt darauf an, was hergestellt wird. Die neuen Anforderungen können Keramikprodukte betreffen, Möbelstücke, Textilien, Papier- und Glasprodukte, Aluminium, Plastik usw. Sie betreffen also alle, die etwas herstellen und zu einer Produktkategorie gehören, die über die ESPR reguliert sind.

Die Angebots- und Preismodelle werden sich diversifizieren. Leasing, Sharing, Product-as-a-Service – in diese Richtung könnte es gehen, und damit könnte es für den einzelnen Kunden je nach Produkt durchaus auch mal günstiger werden

CCB Magazin:Welche Kosten lassen sich damit einsparen oder werden Produkte dadurch teurer?

Susanne Guth-Orlowski:Günstiger wird es eher nicht, aber man wird andere Preismodelle haben als Kaufen. Leasing, Sharing, Product-as-a-Service – in diese Richtung könnte es gehen, und damit könnte es für den einzelnen Kunden je nach Produkt durchaus auch mal günstiger werden, wenn ein Produkt geteilt oder geliehen wird statt gekauft. Die Angebots- und Preismodelle werden sich diversifizieren.

CCB Magazin:Langfristig soll der DPP und die ESPR dazu führen, dass Produzenten nachhaltigere Produkte herstellen und Konsumenten bevorzugt solche Produkte auswählen. Wenn Produkte langlebiger, leichter zu reparieren und ganz oder in Teilen wiederverwendbar sind – was bedeutet das für die Wirtschaft insgesamt? Wird es zu einem Rückgang der Produktion kommen? Könnte eine neue Infrastruktur entlang der Wertschöpfungskette entstehen, die sich auf die Reparatur und das Recycling von Produkten konzentriert?

Susanne Guth-Orlowski:Produkte, das ist die Idee, sollen hochwertiger werden. Und sie werden, wie gesagt, nicht unbedingt mehr gekauft, sondern beispielsweise geliehen. Stichwort Product-as-a-Service. Bei ganz vielen Produkten ist das sehr gut möglich. Die Firma ZF baut Kupplungen aus Materialien, die ungefähr zehn Jahre halten; aber eigentlich könnte man die Kupplungen so bauen, dass sie immer wieder erneuerbar sind und in ein neues Fahrzeug eingebaut werden können. Man bräuchte dann gar keine oder nur sehr wenige neue Rohstoffe dafür. Die Firma ZF prüft aktuell, ihre Kupplungen als Produktservice anzubieten statt sie zu verkaufen. Kupplungen könnten so noch hochwertiger für eine sehr lange Lebensdauer hergestellt werden. Damit spart ZF Kosten und Rohstoffe und sie können die Kupplungen zur Wiederverwendung vom Kunden zurückfordern. So gesehen entsteht hier tatsächlich eine neue Wirtschaftsform, die Reparatur und Wiederverwertung stärker miteinbezieht.

CCB Magazin:Wie optimistisch sind Sie, dass der DPP tatsächlich zu mehr Zirkularität und Nachhaltigkeit führt?

Susanne Guth-Orlowski:Ich glaube, zentral bei der ganzen Sache ist, wie die Informationen dem Kunden präsentiert werden. Das muss in einer schnell zu interpretierbaren Form geschehen, so dass er auch bereit ist, diese Infos zu lesen und zu beurteilen. Ich denke beispielsweise, den DPP über eine App zu lesen, in der man dann klar einsehen kann, wie ein Produkt unter verschiedenen Aspekten und Präferenzen eingeordnet wird. Es braucht in jedem Fall einen leichten Einstieg zur Entscheidungsfindung.

Rubrik: Innovation & Vision

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