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Marvin Bratke: "Das Systemdesign steht im Zentrum unserer Arbeit"

Marvin Bratke: "Das Systemdesign steht im Zentrum unserer Arbeit"
Foto: © Katia Belmadani

Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Welche Rolle spielen dabei zirkuläre Konzepte und die Wiedernutzung von Brachflächen und stillgelegten Industriequartieren. Das Architektur- und Designbüro Beta Realities sucht dafür Lösungen. Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer Marvin Bratke. 
 

INTERVIEW  Boris Messing    

 

CCB Magazin: Hallo Marvin, ihr seid ein interdisziplinäres Team aus Unternehmern, Architekten, urbanen Gestaltern und Projektentwicklern. Was unterscheidet euch von anderen Architekturbüros?

Marvin Bratke: Beta Realities ist ein Architektur- und Designbüro. Unsere Services konzentrieren sich auf das Architektur-, Innenarchitektur- und Produktdesign, was auch Stadtplanung und die Entwicklung von Software-Applikationen beinhaltet. Dabei steht das Systemdesign ganz klar im Zentrum unserer Arbeit.

CCB Magazin:Seit wann gibt es euer Unternehmen und wer kam auf die Idee, es zu gründen?

Marvin Bratke:Ich arbeite schon seit fünfzehn Jahren als praktizierender Architekt und war vor unserer Gründung in führenden internationalen Architekturbüros tätig. 2021 haben wir Urban Beta als Bautechnologie Firma gegründet und Anfang letzten Jahres habe ich zusammen mit meinem Business-Partner Paul Clemens Bart Beta Realities gegründet. Derzeit sind wir zehn Architekten, Designer und Planer mit Studios in Berlin und New York.

In Zukunft müssen wir uns durch den Resourcenmangel zwangsweise mit dem Thema Zirkularität auseinandersetzen. Wir sehen, das dies auch schon zu einem integralen Wandlungsprozess in der Bauindustrie führt. Beta Realities befasst mit dem gesamten Lebenszyklus von Bauelementen und Baustoffen und sucht nach Wegen der Wiederverwendung

CCB Magazin:Es gibt viele Architekturbüros in Berlin. Durch die Energiekrise und die schlechte Konjunktur sehen sich laut einer Befragung der Bundesarchitektenkammer viele Architektinnen und Stadtplaner gezwungen, Projekte zu pausieren oder gar zurückzustellen, rund die Hälfte rechnet mit einer Verschlechterung der Lage bis Ende des Jahres. Wie stellt man sich als junges Unternehmen wie eures da am besten auf, wie setzt man sich gegen die Konkurrenz durch?

Marvin Bratke:Wir sehen uns im Herzen als Erfinder und bringen diesen Innovationsansatz mit in das Unternehmen. Wir unterscheiden uns von klassischen Architekten durch unsere interdisziplinäre Ausrichtung. Wir sind ein eingespieltes, internationales Team und verbinden sorgfältig Technologie, Ökologie und Architektur, um Lösungen für die größten Herausforderungen unserer Gesellschaft und Zeit zu finden.

CCB Magazin:Wo liegt der Fokus eurer Arbeit? War euch von Anfang an klar, worauf ihr euch konzentrieren wollt, oder hat sich das Angebot eurer Dienstleistungen erst im Laufe der Projekte ergeben?

Marvin Bratke:Wir sind immer im Beta Modus und entwickeln uns konstant weiter. Wir fordern Konventionen heraus und hinterfragen die Norm, um traditionelle Abgrenzungen der Disziplinen hinter uns zu lassen. Unsere Architektur hat das Ziel, das volle Potential von Mensch und Natur zu entfesseln. Als Team planen wir Architektur, Interiors und Produkte mit transformativer Wirkung, partizipativen Ansatz und positiven Impact. Gemeinsam entwerfen wir für die Zukunft und helfen unseren Kunden, Bauherrn, Nutzern, Experten und der Öffentlichkeit diese positiv zu gestalten. Unsere Projekterfahrung zieht sich international über viele Kontinente: Wir planen und realisieren Bürogebäude, Hotels, Wohn- und Gewerbebauten, kulturelle Einrichtungen, Hochhäuser, Museen, Installationen und Produkte mit einem hohen Anspruch an Gestaltung, Innovation und Zirkularität.




Beta Realities, Konzeptbilder des Refurbishment-Projekts Makoto Boutique Hotel bei Shanghai. Fotos: Beta Realities

CCB Magazin:Eine eurer Dienstleistungen liegt in der strategischen Beratung. Dabei geht es auch um das Mitdenken zukünftiger Technologien im Designentwurf. Das klingt nach einem Zirkelargument. Wie kann ich etwas mitdenken, das noch ungewiss, das noch in der Zukunft liegt?

Marvin Bratke:Den Begriff der Architektur als vermutete Zukunft hat bereits Frei Otto geprägt. Unsere Bauten versuchen nicht alle Fragen der Zukunft zu beantworten. Wir versuchen, offene Systeme zu entwerfen, die sich in Zukunft an neue Bedürfnisse anpassen lassen. Der Gebäudebau in Deutschland ist überreguliert mit vielen Normen, die durch Hersteller getrieben werden. Wir plädieren dafür, dass man wieder einfacher und verständlicher baut. Hightech in der Planung und Lowtech im Bau, so dass die Gebäude künftig nicht nur von den Architekten veränderbar sind, sondern auch von den Nutzern selbst. Viele Gebäude, die wir planen, dienen als eine Art Testlabor. Wir versuchen die Wandelbarkeit von Gebäuden mitzudenken. Dafür gibt es jetzt auch einen neuen Gebäudetypus, den Gebäudetypus E, der genau für diese flexible, experimentelle Herangehensweise gedacht ist.

CCB Magazin:Beta Realities wirbt mit innovativen, urbanen Ideen und Konzepten, beispielsweise einem Flughafen, der zugleich Community Center ist. Es ist von inklusiven, unkonventionellen und multidisziplinären Ansätzen die Rede. Aber welche von diesen Ideen sind schon in die Tat umgesetzt und nicht nur auf dem Reißbrett vorhanden?

Marvin Bratke:Obwohl wir ein sehr junges Büro sind, arbeiten wir gerade an der Realisierung mehrerer zirkulär geplanter Gebäude und Renovierungen. Zusätzlich haben wir mit unseren BetaPort Gebäuden bereits drei zirkuläre Holzbauten erfolgreich errichtet, das letzte Gebäude eine Schulerweiterung der Leipzig International School in Kollaboration mit Urban Beta und graadwies. In diesem Jahr werden wir zwei Projekte fertigstellen, ein Bürohaus in Düsseldorf und ein Boutique-Hotel in China bei Shanghai. Über viele weitere Projekte in der Pipeline, dürfen wir leider noch nicht sprechen, aber werden diese in den nächsten Jahren veröffentlichen dürfen.

In Berlin wird viel gebaut, was nicht unbedingt dem gedachten Nutzen der 400.000 Wohneinheiten pro Jahr gerecht wird. Es gibt viel Leerstand, der einfach als Spekulationsanlage gehalten wird. Wir müssen uns darauf fokussieren, Gebäude umzubauen, vor allem Gewerbeimmobilien, die vermehrt leer stehen

CCB Magazin:In der Stadt der Zukunft sollen Nachhaltigkeit, Zirkularität, hohe Lebensqualität und bezahlbarer Wohnraum ineinanderfließen. Gerade Berlin erlebt seit Jahren jedoch eine anhaltende Wohnungsnot. Wie löst man dieses Problem?

Marvin Bratke:In Berlin wird viel gebaut, was nicht unbedingt dem gedachten Nutzen der 400.000 Wohneinheiten pro Jahr gerecht wird. Es gibt viel Leerstand, der einfach als Spekulationsanlage gehalten wird. Wir müssen uns darauf fokussieren, Gebäude umzubauen, vor allem Gewerbeimmobilien, die vermehrt leer stehen. Ein großer Fokus wird auch sein, zu prüfen, welche Baumasse wir eigentlich haben, um den Leerstand in Wohnraum umzuwandeln und Bausysteme zu erschaffen, die so reversibel, flexibel und wandelbar sind, dass man sie immer wieder auf neue Bedürfnisse anpassen kann. Eines unserer Umbauprojekte befasst sich mit der Renovierung von Leerstand, hin zu einem nachhaltigen Boutique Hotel.

CCB Magazin:Der Verkehrssektor hinkt in Deutschland in Sachen Emissionssenkung weit hinterher. Aber auch um den Gebäudesektor ist es nicht sehr gut bestellt. Knapp ein Drittel aller Emissionen geht auf ihn zurück. Dabei geht es um Wärmedämmung, aber auch um die Baumaterialien an sich. Ist zirkuläres Bauen die Lösung?

Marvin Bratke:Ich persönlich bin ja der Meinung, dass der Neubauanteil in Deutschland zu hoch ist. Auch wenn wir weiter Konzepte für Neubauten entwickeln, sind wir im aktiven Prozess, bestehende Infrastruktur, beispielsweise Gewerbegebiete, durch nachhaltiges und zirkuläres Design umzuplanen. In einem Projekt in Kiel, ein monofunktionales Industriequartier, entwickelten wir beispielsweise mit dem Büro graadwies kulturelle Standorte für urbane Produktion aus alten Fabrikhallen.



Konzept zu Refurbishment-Projekt in Kiel. Fotos: Beta Realities, Urban Beta

CCB Magazin:Wie viele Architekturbüros befassen sich mit zirkulärem Bauen? Ist Zirkularität im Bausektor überhaupt eine ernst zu nehmende Sache?

Marvin Bratke:In Zukunft müssen wir uns durch den Resourcenmangel zwangsweise mit dem Thema auseinandersetzen. Wir sehen, das dies auch schon zu einem integralen Wandlungsprozess in der Bauindustrie führt. Wir befassen uns immer mit dem gesamten Lebenszyklus von Bauelementen und Baustoffen und suchen nach Wegen der Wiederverwendung. Die Herausforderung liegt hier allerdings in einer sehr strengen deutschen Gesetzgebung in Hinsicht auf Zertifizierungen, was meist einen Premium-Preis zur Folge hat. In Zukunft werden allerdings die Preise für nur einmal verwendbare Baustoffe durch die Ressourcenknappheit steigen, zusätzlich müssen wir wie in der Verpackungsindustrie mit einem verstärkten Nutzer-Backlash rechnen. Deswegen setzen wir auf On-Demand-Ansätze, die durch wiederverwendbare Bauteile, wie bei BetaPort, ermöglicht werden.

CCB Magazin:Nutzt ihr auch KI für eure Arbeit?

Marvin Bratke:Es gibt verschiedene Bereich, wo wir KI einsetzen. Beispielsweise im Designprozess durch Visualisierungen und die Wahl der richtigen Materialien. Wir verwenden oft AR-Anwendungen in unseren Planungsphasen, also Vorvisualisierungen unseres architektonischen Designs. Wir sehen dann die Gebäude eins zu eins und können sie mit Hilfe einer VR-Brille durchlaufen. Da sehen wir dann gleich am Anfang mögliche Fehler im Design. Außerdem arbeiten wir gerade an einem internen Assistenten, so eine Art BetaGPT, der mit allen Informationen über unser Büro gefüttert ist. Da können sich dann neue Mitarbeiter über alles Mögliche informieren und helfen lassen.

CCB Magazin:Wo siehst du Beta Realities in zehn Jahren? Ist es wichtig für euch, zu wachsen?

Marvin Bratke:Wachstum sollte immer organisch und gesund funktionieren. Wir sind derzeit in einem konstanten Wachstumsprozess, trotz der Rezession. Dies liegt vor allem daran, dass wir weltweit agieren und planen und somit lokale Lücken schließen können. In zehn Jahren hoffen wir durch unsere verwirklichten Bauten einen inspirierenden Teil zur Bauwende geleistet zu haben.

Rubrik: Innovation & Vision

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