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Alles Bücher oder was?

Alles Bücher oder was?
Foto: © Future Publish

Der Buchmarkt diversifiziert sich: Der Verkauf von Büchern geht zurück, gleichzeitig werden Bücher durch neue, innovative Formate ergänzt. Das hat gravierende Auswirkungen auf die traditionelle Verlagswelt. Rüdiger Wischenbart, Analyst der internationalen Buchbranche, sprach darüber auf der diesjährigen Future Publish und mahnt, dass die Verlagswelt langfristig Lösungen finden muss, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wie könnten diese aussehen? 
 

VON Boris Messing       

 

„Was ist eigentlich ein Buch?“, fragte Rüdiger Wischenbart seine Zuhörer in Raum 5 und erntete verwunderte Blicke von ihnen. Rund zwanzig Leute waren gekommen, um sich seinen Vortrag "Vom Gatekeeper zum Service Provider: Über die Verwandlungen im deutschen und internationalen Verlagsgeschäft" anzuhören. Wischenbart ist seit zwei Jahrzehnten Berater und Analyst der deutschen und internationalen Buchbranche. Auf der diesjährigen Future Publish in Berlin sprach er über (nicht ganz so) neue Akteure im deutschen und internationalen Verlagsgeschäft, die dem klassischen Publishing Konkurrenz machen. Mit seiner provokanten Frage fasst er einen gravierenden Kurswechsel im Buchmarkt zusammen, der sich viele Jahre außerhalb des Radars der traditionellen Verlagswelt befand – und immer mehr an Fahrt gewinnt. Was sind die Hintergründe? 

Fangen wir mit den Zahlen an. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels halten sich die Umsätze der deutschen Buchbranche in den vergangenen zehn Jahren relativ stabil und liegen mehr oder weniger bei 9,5 Milliarden Euro pro Jahr. Gleichzeitig geht der Absatz der verkauften Bücher bzw. Einheiten kontinuierlich zurück. Dieser Trend lässt sich auch für die USA und den Buchmarkt in Europa beobachten. Der Grund für die relative Stabilität der Umsätze sind die stetigen Preiserhöhungen der Verlage. Die Preisschraube lässt sich aber nicht unendlich weit nach oben drehen – und das ist ein Problem. Ein anderes ist, und das hängt wesentlich mit dem ersten Problem zusammen, dass sich ein sehr großer Bereich der tatsächlichen Umsätze der deutschen (wie internationalen) Buchbranche im Dunkeln befindet. Rüdiger Wischenbart hat dafür eine Erklärung. 

Neue Akteure, neue Formate
 

Für seinen Vortrag brachte er ein paar selbsterrechnete Zahlen mit. Nach seiner Schätzung setzt allein Amazon (mit Amazon Publishing, Kindle Direct Publishing, Kindle Unlimited und Audible) um die 3,5 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr mit dem Verkauf von Büchern um inklusive Hörbüchern. Das liegt in etwa zwischen dem Umsatz des weltweiten Marktführers Penguin Random House und der französischen Verlagskette Hachette. Aber das ist nur ein Teilaspekt des Problems. Ein nicht unerheblicher Teil der Umsätze (und Absätze), die ebenfalls nicht in den offiziellen Zahlen der Buchbranche auftauchen, so Wischenbart, wird von (neuen) Akteuren generiert, die die traditionelle Verlagswelt herausfordern und nebenbei das Buch neu definieren. Hier noch ein paar weitere Zahlen von ihm: Wattpad Webtoons, eine E-Book-Plattform für Autor*innen, erwirtschaftete im Jahr 2022 735 Millionen Euro; Tonies, ein deutsches Unternehmen aus Düsseldorf, machte 2023 einen Umsatz von 354 Millionen Euro; und Storytel, ein schwedisches Unternehmen mit einem Abo-Geschäftsmodell, machte 307 Millionen Euro Umsatz. Diese drei Unternehmen zusammen erwirtschaften also knapp 1,4 Milliarden Euro im Jahr – Tendenz steigend – und agieren international. Vor allem zeigen sie jedoch, wie sich der Buchmarkt wandelt.

Es geht um neue Wertschöpfungsketten, neue Distributionswege, neue Geschäftsmodelle und neue Zielgruppen. Also alles neu oder was? Nicht ganz. Nehmen wir als Beispiel Tonies. Mit ihren Tonieboxen spricht das Unternehmen eine Zielgruppe an, für die die traditionellen Verlage nichts wesentlich Neues anzubieten haben: die zwei- bis sechsjährigen. Das seit zehn Jahren existierende Unternehmen hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Die Toniebox ist eine einfallsreiche Alternative zum Kinderbuch und lässt die Kinder selbstbestimmt entscheiden, was und wie sie hören möchten. Oder Storytel: Das 2006 in Stockholm gegründete Unternehmen basiert auf einem Abo-Modell für E- und Audiobooks, eine kostengünstige Alternative für Leser*innen zumeist leichterer Literatur. Andere Anbieter mit ähnlichem Geschäftsmodell sind beispielsweise Tolino oder Kindle Unlimited. Sie alle sind schon länger geschäftlich tätig, werden aber von offizieller Seite wie beispielsweise dem Börsenverein nicht berücksichtigt. 

Gerade der Bereich Romance steht auf einem aufsteigenden Ast. Wischenbart veranschaulichte das bei seinem Vortrag mit einem einfachen Blick auf die Top Ten der Buchverkäufe in den USA. Auf der Top-Ten-Liste von Publishers Weekly (dem Pendant zur Spiegel-Bestsellerliste) sind für 2023 gleich vier Titel vertreten, die nicht zum klassischen Publishing gehören - alles Frauen. Die erfolgreichste von ihnen, Colleen Hoover, schreibt Romance-Bücher, mit denen sie ein Vermögen angehäuft hat. Auf ihrer Homepage bietet sie nicht nur ihre Bücher zum Verkauf an, sondern auch gleich das passende Merchandising dazu. „Das sind Autorinnen, die eine ganz neue Wertschöpfungskette in Gang gesetzt haben“, fasste Wischenbart das zusammen. Ein anderes Beispiel für solche neue Wertschöpfungsketten ist Rebel Girls. Das 2006 von zwei Italienerinnen über Crowdsourcing gegründete Unternehmen richtet sich an junge Mädchen zwischen acht und elf Jahren. Die gesamte Produktion – vom Inhalt der Bücher über Illustration und Layout – wird von Rebel Girls übernommen, der Verkauf läuft über Lizenzen, die sie an Verlage vergeben. Den Verlagen kommt hier also nur noch die Rolle als Vertriebsmaschine zu. 

Verlage verlieren Gatekeeper-Funktion
 

Dass die Verlage zunehmend ihre Gatekeeper-Funktion verlieren, zeigt auch die direkte Art der Kommunikation, die Autor*innen, die bei keinem klassischen Verlagshaus unter Vertrag sind, mit ihrem Lesepublikum über die Sozialen Medien führen. Wischenbart geht sogar so weit zu sagen, dass die heutige Verlagswelt in einen Bereich wechsele, wo „Publishing ein Serviceangebot“ wird „gerichtet an die Autor*innen und Zielgruppen“. Also nicht mehr die Verlage entscheiden, was wie gedruckt (und verkauft) wird, sondern die oben beschriebenen Plattformen wie Storytel, Rebel Girls oder Wattpad Webtoons. Webtoons sind im Übrigen eine weitere neue Spielvariante des „Buches“. Sie machen den beliebten Mangas aus Japan Konkurrenz. Jedes vierte Buch, das in Frankreich über den Ladentisch geht, fällt mittlerweile in den Bereich Comic. Die Art und Weise wie „gelesen“ wird hat sich also diversifiziert. Streaming, Abo-Modelle, Selbstverlag und Serialisierung von Büchern – das alles fordert die traditionelle Verlagswelt heraus. Die Nachfrage ändert sich.  

Der Vortrag Wischenbarts hinterließ einige Fragezeichen bei den Zuhörern. Wo wird sich die Buchbranche hinbewegen? Zusammengefasst kann man sagen, dass die traditionelle Verlagswelt nicht in einer akuten Krise steckt, aber auf ein Problem zusteuert, für das sie längerfristig Lösungen finden muss. Es findet ein neuer Wettbewerb um neue Zielgruppen und neue Buchformate statt. Eine neue Art der Kommunikation ist gefragt. „Es gibt ein massives strukturelles Problem in der Buchbranche, bei der in den traditionellen Segmenten sehr viel Luft rausgeht“, sagt Wischenbart. Gute Zeiten für innovative Akteure und Ideen – und nicht so gute für diejenigen, die sich noch immer als die Gatekeeper von morgen begreifen, aber die Zügel schon heute aus der Hand verlieren. 

Rubrik: Wissen & Analyse

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