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Arun Mahato: „Die Kreativschaffenden sind es, die sich auf die neue Marktsituation einstellen können“

Arun Mahato: „Die Kreativschaffenden sind es, die sich auf die neue Marktsituation einstellen können“
Foto: © Prognos

Die Kreislaufwirtschaft ist in aller Munde – Produkte sollen entweder so beschaffen sein, dass sie in Einzelteile zerlegt werden können oder sich biologisch wiederverwerten lassen. Welche Rolle kommt hierbei der Kultur- und Kreativwirtschaft zu? Wir sprachen darüber mit Arun Mahato, Mitarbeiter im Bereich Analyse & Trends beim Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, das zum Thema Kreislauffähigkeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft eine Studie erstellt hat.
 

InterviewJens THOMAS

 

CCB Magazin:Immer mehr Unternehmen wollen nachhaltig oder kreislauffähig werden. Ihr habt zur Kreislauffähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft eine Studie erstellt. Was habt ihr herausgefunden? 

Arun Mahato:Unser Ergebnis lautet, dass auch immer mehr Kreativunternehmen kreislauffähig werden wollen, die Teilmärkte aber unterschiedlich weit sind. So passiert in der Designwirtschaft und im Architekturmarkt schon recht viel – Designer*innen stellen beispielsweise kompostierbare Kleidung her und Architekt*innen setzen sich für die Wiederverwertung von Materialien in der Baubranche ein. Bei den anderen Teilmärkten lässt sich dagegen noch viel Potenzial ausschöpfen. Dabei sind das Vermeiden, Intensivieren und Wiederverwenden von Materialien die Grundsätze vieler Akteur*innen, die sich mit der Thematik befassen. Zum einen tragen die Akteur*innen zur Vermeidung natürlicher Ressourcen bei und erhöhen die Ressourceneffizienz. Zum anderen intensivieren sie die Nutzung und verlangsamen Ressourcenkreisläufe durch die Verlängerung der Produktlebensdauer. Auch werden durch das Recycling und die Wiederverwendung Ressourcenkreisläufe geschlossen.

CCB Magazin:Ihr habt in eurer Studie drei Typen identifizieren können, die an der Schnittstelle von Kreativ- und Kreislaufwirtschaft agieren. Was sind das für Typen und wie unterscheiden sie sich?   

Arun Mahato:Die erste Gruppe sind die Anwender*innen, die Produkte und Dienstleistungen für eine Kreislaufwirtschaft schaffen und schrittweise auf zirkuläres Wirtschaften umstellen. Das können die bereits erwähnten Architekt*innen oder Designer*innen sein. Die zweite Gruppe sind die Enabler*innen, die andere dazu befähigen, zirkulär zu wirtschaften. In dieses Feld fallen beispielsweise Berater*innen. Auch kommt der Designwirtschaft eine tragende Rolle zu, weil ein wesentlicher Teil der Kreislauffähigkeit eines Produktes bereits im Design angelegt ist. Die dritte Gruppe setzt sich aus den Multiplikator*innen zusammen, die für die Teilmärkte der Kreativwirtschaft – so beispielsweise für den Games-, Presse-, Werbe-, Film- und Buchmarkt – eine Vervielfachungs- und Vermittlerfunktion haben. Die Multiplikator*innen sorgen dafür, dass die Kreislaufwirtschaft in anderen Bereichen breitere Anwendung findet.  

Es gibt drei Typen an der Schnittstelle von Kreativ- und Kreislaufwirtschaft: Die Anwender*innen, die Produkte und Dienstleistungen für eine Kreislaufwirtschaft schaffen, die Enabler*innen, die andere dazu befähigen, zirkulär zu wirtschaften, und die Multiplikator*innen, die dafür sorgen, dass die Kreislaufwirtschaft in anderen Bereichen breitere Anwendung findet

CCB Magazin:Gibt es eine Zahl dazu, wie viele Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft bereits kreislauffähig sind? Und was sind die Gründe dafür, warum im Design- und Architekturmarkt schon recht viel passiert, in den anderen Branchen dagegen weniger?  

Arun Mahato:Die Datenlage in Deutschland dazu ist knapp, weshalb es noch keine genauen Zahlen gibt. Die Bereiche Design und Architektur sind darum so prädestiniert, weil konkrete Materialien zum Einsatz kommen, die sich kreislauffähig gestalten lassen. Das heißt aber nicht, dass in den anderen Branchen nichts passiert. So versuchen Festivalplaner*innen beispielsweise immer häufiger, kreislauffähige Prozesse durch die Vermeidung und Rückführung von Abfällen voranzutreiben. Oder in der Software-/Games-Industrie kommen Kreislaufwirtschaftsprinzipien durch die nachhaltige Beschaffung von Hardware und Reparaturmöglichkeiten zum Tragen. Nicht zuletzt kommt dem Werbemarkt eine Schlüsselrolle in der Vermarktung der Kreislaufwirtschaft zu, wenn Werbepraktiken auf Ressourcenschonung abzielen und zu Bewusstseinsbildungsprozessen beitragen. Und im Presse- und Buchmarkt führen ressourcenschonendere Produktionen von Printmedien immer häufiger zu einer längeren Nutzungsdauer – oder die Produkte lassen sich sogar kompostieren. 

CCB Magazin:Die Kreislaufwirtschaft kommt primär aus der Abfallwirtschaft. Das erste Kreislaufwirtschafts-/Abfallgesetz stammt von 1996, bis heute dominieren die Bereiche Technik, Sammlung, Transport und Straßenreinigung, Abfallbehandlung und -verwertung sowie der Großhandel mit Altmaterialien. Wird die Rolle von Kreativunternehmen für eine Kreislaufwirtschaft nicht überschätzt? 

Arun Mahato:So würde ich das nicht sehen. Selbstverständlich konkurrieren die Kreativmärkte nicht mit den oben genannten Märkten. Gerade Kreativunternehmen nehmen aber eine Schlüsselrolle ein, indem sie zur Vermeidung, Intensivierung und Wiederverwendung von Produkten beitragen. Hinzu kommt, dass die Kreislaufwirtschaft als Idee im gesamtgesellschaftlichen Kontext nur realistisch umgesetzt werden kann, wenn es zu einem Bewusstseinswandel kommt – dazu tragen Kreativunternehmen in hohem Maße bei.  

CCB Magazin:Bei der Kreislaufwirtschaft geht es aber ums klassische Wirtschaften, wovon Teilmärkte wie die Darstellenden und Bildenden Künste weit entfernt sind. Die Kreislaufwirtschaft beschäftigt in Deutschland rund 314.000 Erwerbstätige, sie ist zwischen 2010 und 2022 um rund 14 Prozent gewachsen. In welchen Bereichen könnten neue Beschäftigungschancen für Kreativschaffende oder Kooperationen mit anderen Branchen entstehen? 

Arun Mahato:Kreativschaffende sind bei sozialen Innovationen schon heute ganz vorne mit dabei, auch Kooperationen mit dem Mittelstand sind denkbar. Zwar sind Kreativschaffende keine Ingenieur*innen oder Spezialist*innen für Solaranlagen oder die Müllsortierung. Sie sind dennoch Entwickler*innen neuer Geschäftsmodelle, Prozesse und Verfahren. Gerade das Design Thinking, bei dem Lösungen für komplexe Probleme durch die Entwicklung neuer Ideen gefunden werden, wird für eine zirkuläre Wirtschaftsweise immer wichtiger. Hier sehe ich zahlreiche Anknüpfungspunkte und Potenziale für eine branchenübergreifende Zusammenarbeit. 

Gerade Kreativunternehmen tragen zur Vermeidung, Intensivierung und Wiederverwendung von Produkten bei. Hinzu kommt, dass die Kreislaufwirtschaft als Idee im gesamtgesellschaftlichen Kontext nur realistisch umgesetzt werden kann, wenn es zu einem Bewusstseinswandel kommt - und dazu tragen Kreativunternehmen in hohem Maße bei

CCB Magazin:Kannst Du ein Beispiel geben?   

Arun Mahato:Das Unternehmen sendmepack entwickelt beispielsweise Versandkartons aus bereits existierenden Materialien, um Verpackungsmüll aus dem Online-Handel zu vermeiden. Dazu kauft das Unternehmen gezielt Kartonnagen auf, um sie anschließend wiederzuverkaufen – hier trifft die Kreativwirtschaft auf E-Commerce. Ein anderes Beispiel ist das Unternehmen Rokbox, das zusammen mit Restauratoren, Künstler*innen und Industriedesigner*innen eine Kunstversandkiste aus sowohl recyceltem als auch wiederverwertbarem Material entwickelt hat. Und im Bereich Gamification können Nutzer*innen Prozesse digital erproben, die für die Implementierung einer Kreislaufwirtschaft wichtig sind. 

CCB Magazin:Reden wir mal übers Geld. Viele Kreativunternehmen sind seit Jahren hohen Prekaritätsrisiken ausgesetzt. Können Kreativunternehmen von kreislauffähigen Konzepten angemessen leben? 

Arun Mahato:Dazu haben wir keine belastbaren Zahlen. Was wir sagen können, ist: Die Kreislaufwirtschaft lohnt sich zunehmend auch wirtschaftlich – ob bei der nachhaltigeren Gestaltung von Prozessen, bei Einsparungen von Materialien oder im zirkulären Design durch den Einsatz recycelter Materialien. Darüber lassen sich neue Produkte schaffen und die Kosten senken. Sicherlich müssen Kreativschaffende kontinuierlich neue Nischen entdecken und besetzen.  

CCB Magazin:Ihr schreibt in eurer Studie, dass die ersten Schritte für eine Kreislaufwirtschaft das Vermeiden von Ressourcen, die Verlängerung der Nutzungsdauer und das Wiederverwenden von Materialien sind. In der Vergangenheit gab es zahlreiche Beispiele aus der Kreativwirtschaft, dass gerade durch die Verlängerung der Nutzungsdauer Produkte so lange hielten, dass am Ende nicht genügend verkauft wurden. Scheitert die Kreativindustrie an ihrer Perfektion? 

Arun Mahato:Auch das würde ich so nicht sehen. Sicher braucht es neue Geschäftsmodelle, die den Schwerpunkt auf die Langlebigkeit von Produkten legen und dabei rentabel sind. Auf der anderen Seite bedeutet weniger und langlebigere Produkte herzustellen unter Umständen auch, dass weniger Kosten für die Aufwendung und Verwendung der Rohstoffe anfallen – das kann sich aus unternehmerischer Sicht wiederum lohnen. Sinnvoll können auch sogenannte Zusatz-Dienstleistungen sein, über die sich weitere Einnahmen erzielen lassen und Kund*innen gebunden werden können. Ein Beispiel: Der Reifenhersteller Michelin stellt Reifen mit einer langen Nutzungsdauer her, musste sich lange aber gegen die Niedrigpreiskonkurrenz durchsetzen. Darum stellt Michelin heute Transportunternehmen Reifen kostenlos zur Verfügung, rechnet aber nach Kilometern ab – dafür hat das Unternehmen Chips in die Reifen implementiert, um die Entfernung und den Wartungsbedarf messen zu können. Zum einen konnten darüber zahlreiche Kunden ans Unternehmen gebunden wurden. Zum anderen löste das ein langwieriges Problem der Spediteure: In der Folge konnte eine deutlich höhere Kraftstoffeffizienz erzeugt werden und die Kosten ließen sich senken. Die Rentabilität ließ sich verbessern und die Kohlenstoffemissionen reduzieren. 

Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich Kreativschaffende breit aufstellen und experimentierfreudig bleiben. Gerade die Neuerfindung, Risikobereitschaft und Rolle als Impulsgeber*in sind in die DNA von Kreativunternehmen eingeschrieben

CCB Magazin:Viele Kreativunternehmen, so beispielsweise im Modebereich, müssen sich jetzt aber auch noch gegen die großen Anbieter behaupten, die ebenso auf Nachhaltigkeit oder Kreislauffähigkeit setzen. Unternehmen wie C&A oder Benetton haben ihren Biobaumwolle-Anteil über die Jahre kontinuierlich erhöht. H&M hat bereits seit 2013 ein Rücknahmesystem eingeführt, worüber Kund*innen pro abgegebener Tüte einen Gutschein über 15 Prozent Rabatt für den nächsten Einkauf erhalten. Wie finden Kreativunternehmen da noch ihre Nische?

Arun Mahato:Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich Kreativschaffende breit aufstellen und experimentierfreudig bleiben. Gerade die Neuerfindung, Risikobereitschaft und Rolle als Impulsgeber*in sind in die DNA von Kreativunternehmen eingeschrieben. Darum denke ich nicht, dass Kreativschaffende keine Nischen mehr besetzen können – Potenziale bieten sich beispielsweise im Bereich der Herstellung neuer organischer Materialien wie Leder aus Pilzen, Papier aus Gras oder die Entwicklung von Alternativen zu Beton. Auch wird der Verbrauch von Bekleidung und Schuhen aller Voraussicht nach bis 2030 um 63 Prozent von 62 Mio. auf 102 Mio. Tonnen ansteigen – das macht einen Ausbau des Kreislaufprinzips unumgänglich. Was den Architekturmarkt betrifft, entfallen rund 30 bis 35 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland auf die Errichtung, den Erhalt und Betrieb von Gebäuden. Gleichzeitig muss in Deutschland heute und in den kommenden Jahren zusätzlicher Wohnraum entstehen. Hier werden Architekt*innen gebraucht, die zirkuläre und effiziente Konzepte entwickeln. 

CCB Magazin:Dann zum Schluss noch eine Prognose bitte: Wo stehen wir in Sachen Kreislaufwirtschaft in zehn Jahren? Welche Rolle kommt der Kreativwirtschaft dabei zu?  

Arun Mahato:Der Bereich IT und Softwaredienstleistungen wird wichtiger werden, die Verzahnung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit wird weiter zunehmen. Und das gilt nicht nur für Märkte, die für digitale Prozesse prädestiniert sind, wie der Werbemarkt oder die Musikindustrie. Es gilt auch für Bereiche wie die Architektur, wo digitale Lösungen künftig Informationsflüsse zur Kreislauffähigkeit optimieren und Transparenz erzeugen können. Zudem werden Berufe multidisziplinärer, was eine Vielzahl von Fähigkeiten und umfassende technische Kenntnisse verlangt – und gerade die Kreativschaffenden können sich darauf einstellen. Wie ein Bericht der globalen Impact-Organisation Circle Economy, Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und Solutions for Youth Employment (S4YE) der Weltbank ergab, könnten durch die verstärkte Wiederverwendung und Aufbereitung von Produkten und Materialien weltweit bis zu 7 oder 8 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Die Notwendigkeit, sich kontinuierlich weiterzuqualifizieren, wird für den Bereich der Kreislaufwirtschaft essenziell bleiben. Berufe wie C2C-Architekt*in, Circular Designer*in, Nachhaltigkeits-, Narrative- oder Interaktionsdesigner*innen sind in der Arbeitswelt von morgen nicht mehr wegzudenken. Sie werden den Arbeitsmarkt um ein Vielfaches bereichern. 

Rubrik: Wissen & Analyse

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