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Elisabeth Kaufmann: "Deaf Performer*innen zuzuschauen ist wie ein Zauber"

Elisabeth Kaufmann: "Deaf Performer*innen zuzuschauen ist wie ein Zauber"
Foto: © GMU

In Deutschland leben rund 80.000 gehörlose Menschen. Wie können sie an Musikevents teilhaben? Elisabeth Kaufmann ist die erste Vizepräsidentin des Deutschen Gehörlosen Bundes (DGB) und Teil der Aktionsgruppe „Deaf Performance“, die sich für die Rechte von Gehörlosen in der Kultur einsetzt – und in diesem Jahr Teil der Pop-Kultur ist. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit, die Zukunft inklusiver Veranstaltungen und wie Musik als Sprache des Gefühls Menschen verbinden kann.

 

INTERVIEW Anna Raab

 

CCB Magazin:Elisabeth, du bist Vizepräsidentin des Deutschen Gehörlosen Bund (DGB) und in diesem Jahr Teil der Pop Kultur.  Wie oft werdet ihr eigentlich mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verwechselt? 

Elisabeth Kaufmann:Ach, eigentlich so gut wie nie. Gott sei Dank!

CCB Magazin:Stell dich zunächst einmal vor: Was genau machst du und welchen Hintergrund hast du? Und was genau macht der Deutsche Gehörlosen Bund (DGB) im Bereich der Kultur?

Elisabeth Kaufmann: Ich bin die erste Vizepräsidentin des Deutschen Gehörlosen Bundes, kurz DGB.  Bereits seit 1927 setzt sich der DGB  für die Rechte von Gehörlosen ein, vertritt ihre Interessen und engagiert sich auf allen Ebenen für mehr Sichtbarkeit – wir haben derzeit rund 30.000 eingetragene Mitglieder. Mein Arbeitsfokus beim DGB liegt auf der Förderung der Frauen und Geschlechtergerechtigkeit, zudem auf Musik-Performances und allgemein auf der Förderung kultureller Teilhabe. Alle vier Jahre veranstaltet der DGB dazu die Deutschen Kulturtage der Gehörlosen – nächstes Jahr geht es schon in die siebte Runde, diesmal in Friedrichshafen am Bodensee.

CCB Magazin:Du bist auch Teil der Aktionsgruppe „Deaf Performance“, die sich für die Rechte von Gehörlosen in der Kultur einsetzt, sie ist eng mit der Initiative „Deaf Performance Now“ verbandelt. Wie eng arbeiten der Deutsche Gehörlosen Bund und die Aktionsgruppe „Deaf Performance“ zusammen?

Elisabeth Kaufmann:Die „Deaf Performance“ ist zunächst eine Arbeitsgruppe, die ich leite und die ehrenamtlich arbeitet. Die „Musik/Deaf Performance“ erhebt grundsätzlich die Forderung, gehörlose Künstler*innen und Dolmetschende an künstlerischen Prozessen zu beteiligen, das Thema ist zudem fest im Organigramm des DGB verankert, weswegen ich mir als erste Vizepräsidentin die Führung zur Aufgabe genommen habe. „Deaf Performance Now“ ist dagegen eine Aktionsgruppe, die 2019 entstanden ist, das ist noch mal etwas anderes.

Für Hörende gibt es überall Kultur und ich will, dass das Gleiche auch für alle anderen gilt. Die Gebärdensprache ist ein Menschenrecht, für deren Umsetzung wir weiter kämpfen werden

 

CCB Magazin:Kannst du mal ein Beispiel für eine Deaf Performance geben? Welche Projekte gehen davon aus? Wie wird dort performt?

Elisabeth Kaufmann:Im Fokus steht die Wahrnehmung von Musik durch gehörlose Menschen. Zentrale Bedeutung hat dabei der Diskurs um Empowerment und das kritische Bewusstsein für die Ausgrenzung und Verletzbarkeit von marginalisierten Gruppen. Um dir ein Beispiel zu geben: Ein Hörender sieht die Gebärden eines Gehörlosen und improvisiert dazu – mit Hilfe eines Musikinstruments oder einfach mit seiner Stimme. Oder es wird ein Lied oder Stück gewählt, das Gehörlose und Hörende erst mal individuell verarbeiten. Anschließend treffen die beiden Gruppen aufeinander und versuchen, die jeweiligen Interpretationen abzustimmen und zu vereinen. Dabei können auch kurze Textpassagen im „Singsang“ gesprochen werden. So geht meiner Meinung nach Austausch: Hörende unterdrücken nicht die Vorstellungen der anderen. Es wird gesprochen.

 

CCB Magazin:Gibt es spezielle Bands oder Gruppen, die erwähnenswert sind? Und auf was kommt es bei einer „Deaf Performance“ an? Es wird ja nicht nur übersetzt, sondern performt.

Elisabeth Kaufmann:Es gibt sehr viele gehörlose Künstler*innen, aber leider kommt es selten dazu, dass sie tatsächlich mit einer eigenen Band auftreten. Stattdessen werden sie manchmal für Projekte von Hörenden gebucht, die mit Inklusion werben wollen, um auch Fördergelder zu erhalten – das ist traurig, entspricht aber der Wahrheit. Zum zweiten Teil deiner Frage: Bei allem kommt es auf Rhythmus und Metrik an, die über Bodenschwingungen wahrgenommen werden. Dieser Effekt lässt sich hauptsächlich mit Trommeln erzeugen, eventuell auch mit Marimbaphonen. Dadurch stehen Gehörlosen natürlich begrenzte Mittel zur Verfügung. Aber wie du selbst sagst: Es geht ums Performen und damit um viel mehr als nur um die Klänge oder besser: Schwingungen der Musikinstrumente. Tanz und Gestik sind die zentralen Bestandteile des Auftritts. Wenn man den Deaf Performer*innen mit ihren fliegenden Händen bei den Interpretationen der Lieder zuschaut, ist das wie ein Zauber, in dem sich Zeit und Raum durch die Anmut und Eleganz ihrer Gebärden auflösen. Emotionen und Musik finden in dem Moment zusammen, denn Musik ist vor allem und in erster Linie eine Sprache des Gefühls.

CCB Magazin:In Deutschland leben rund 80.000 gehörlose Menschen, das sind etwa 0,1 Prozent der Einwohner*innen. Wie hoch ist die Nachfrage nach kulturellen Angeboten – speziell Konzerten – in der Gehörlosen-Community? Wissen die Leute überhaupt, wo sie sich Kultur holen können?  

Elisabeth Kaufmann:Leider gibt es noch immer viel zu wenig Angebote, bei denen gehörlose Performer*innen in Konzerten auftreten können. Mein Traum wäre es, Deaf Performer*innen allein mit ihrer Gebärdenpoesie ein ganzes, eigenes Konzert umsetzen zu sehen. Das ist aktuell noch eine Utopie, sollte in Zukunft aber keine mehr sein. Zusätzlich zu den schon erwähnten DGB-Kulturtagen organisiert das Deutsche Gehörlosen Theater beispielsweise alle zwei Jahre eine Aktion und geht damit auf Tour.  Und der Gehörlosenverband München veranstaltet dreijährig das Deutsche Gebärden Theaterfestival und leitet mehrere Theatergruppen. Ein Ziel von mir ist es, eine Kulturagentur auf die Beine zu stellen, mit einem Pool von allen Deaf Performer*innen, die dann Aufträge von allen möglichen Kulturveranstaltungen erhalten und bearbeiten können – ganz egal, ob die Organisatoren hörend oder gehörlos sind.

CCB Magazin:Ihr wollt die Musikwelt und Kultur inklusiver machen. Wie reagiert die Musikszene allgemein auf eure Aktionen und Forderungen? Steht sie dem offen gegenüber oder gibt es Widerstände? 

Elisabeth Kaufmann:Die Leute sind auf jeden Fall offener, vorsichtiger und auch sensibler geworden. Mittlerweile bekomme ich sogar Anfragen von Hörenden, die bereit sind, sich ernsthaft mit deaf performer*innen auseinanderzusetzen. Nur ist das eben ein schleichender Prozess, weil es sehr lange Zeit nicht so war: Wenn Hörende für Gehörlose Musik planten und umsetzten, ging das oft schief. Man muss wissen, dass gehörlose Menschen Musik einfach ganz anders wahrnehmen als hörende. Daher ist es auch dringend erforderlich, taube Performer*innen aktiv in die Gestaltung miteinzubeziehen. Gleichzeitig ist es kontraproduktiv, wenn der Diskurs immer nur von der Diskussion um Macht und Ausschluss dominiert wird. Viel wichtiger ist die Frage, wie sich Hörende und Gehörlose in der Musikszene gemeinsam positiv und produktiv begegnen können. Genau darum geht es mir auch bei meiner Arbeit. Und dass ich in diesem Jahr Teil der Pop-Kultur bin zeigt, dass das Thema endlich Gehör findet.

Austausch kann nur funktionieren, wenn Hörende nicht die Vorstellungen von Gehörlosen unterdrücken. Ohne die notwendige Unterstützung  bleibt Gehörlosen der Weg in die Musik verschlossen

CCB Magazin:Wie finanziert sich ein Verband wie der Deutschen Gehörlosen Bund?

Elisabeth Kaufmann:Wir erhalten von allen Mitgliedern einen Beitrag. Außerdem stellen wir immer wieder Anträge bei Zuschussgebern, wie zum Beispiel bei der Aktion Mensch oder wir erhalten Selbsthilfeförderung für unsere ehrenamtliche Arbeit. Der Rest läuft über Spenden und Partizipationsförderung.

CCB Magazin:2019 wurde eine Debatte um die Inklusion von Gehörlosen losgetreten, weil es bis dato vorrangig um die Übersetzung in Gebärdensprache ging, nicht selten auch von Hörenden selbst. Die Gehörlosen-Community fühlte sich dadurch wenig repräsentiert. Seitdem ist es um die damals entstandene Bewegung „Deaf Performance Now“ ruhiger geworden. Liegt das daran, dass es in der Zwischenzeit ausreichende Gesetzesvorstöße gegeben hat? Was hat sich seitdem – im Guten wie im Schlechten – verändert?

Elisabeth Kaufmann:Naja, wir sprechen im Grunde immer noch von ein und demselben Problem: Wenn hörende Menschen sich für Gehörlose einsetzen, ohne mit ihnen wirklich in Kontakt zu treten, kommen am Ende Dinge heraus, die der Wahrnehmung von Hörenden entsprechen, mit der von Gehörlosen aber überhaupt nichts am Hut haben. Wenn Hörende bei Auftritten in Gebärdensprache „dolmetschen“, übersetzen sie nur die Elemente, die ihrer Wahrnehmung nach relevant sind, so etwa den Liedtext. Ein gehörloser Mensch achtet aber vielleicht auf ganz andere Sachen, die bei einer Übersetzung seitens Nicht-Muttersprachlern auf der Strecke bleiben. Im Endeffekt profitieren Hörende so nur von Gehörlosen, das war früher so und wird auch weiterhin so sein – um es mit Abraham Lincoln zu sagen: „Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können.“ Trotzdem hat die Bewegung einiges ins Rollen gebracht. Dabei ist es ganz wichtig, dass sich Künstler*innen selbst dazu entscheiden, aufzutreten, und nicht einfach nur in vorgegebenen Projekten mitmachen dürfen. Denn Deaf Performer*innen sind keine abstellbaren Instrumente für die Inklusionsvorstellungen der hörenden Gesellschaft. Ohne den Raum und die notwendigen Mittel bleibt ihnen der Weg in den Kulturbereich der Musik verschlossen. Aber, wie gesagt, es gibt auch Fortschritte, die sich sehen lassen können. Allein die Einladung von Pop Kultur Berlin hat mich glücklich gemacht. Es ist mir eine Freude, hier über die Beweggründe der Deaf Community zu informieren und mit anderen Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen.

CCB Magazin:Zum Schluss bitte noch ein Blick in die Glaskugel: Es hat in den letzten Jahren immer wieder Gesetzesvorstöße zur Verbesserung gegeben. So trat 2009 beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft, die in Art. 30 die aktive und passive Teilhabe an der Kultur sichern soll. Welche Gesetzesänderungen braucht es (noch), um Gehörlose in die Gesellschaft, speziell in die Kultur, zu inkludieren?

Elisabeth Kaufmann:Oh, eine ganze Menge. Ich würde mich dazu zunächst auf die *UN-Behindertenrechtskonvention* beziehen. Begriffe wie Würde, Barrierefreiheit, Chancengleichheit, Inklusion, Selbstbestimmung, Empowerment und Partizipation lassen sich darauf bezogen als zentrale Leitbegriffe um die Rechte von Menschen mit Behinderung verstehen. Die *UN-Behindertenrechtskonvention* stellt klar, dass Menschenrechtskonventionen immer dem Empowerment der Menschen dienen, nun müssen wir die Punkte rechtsverbindlich verankern und mit möglichst wirksamen Durchsetzungsinstrumenten verknüpfen. Die Gebärdensprachgemeinschaft hingegen will einen anderen Zugang zum Thema Musikperformance eröffnen – sie möchte ihre eigenen Potenziale in den Blick der Konzertveranstalter*innen rücken. Das Ziel von Empowerment ist aber grundsätzlich, für gehörlose Menschen die Möglichkeiten zu schaffen, um über das eigene Leben und die eigene Kultur bestimmen und Potenziale nutzen zu können. Für hörende Künstler, Performer*innen und Schauspieler*innen gibt es täglich und überall, in jedem Dorf und in jeder Stadt, Kulturveranstaltungen, die sie nach Lust und Laune wahrnehmen können. Ich möchte, dass das Gleiche auch für alle gehörlosen Künstler, Performer*innen und Schauspieler*innen gilt. Dafür werden wir weiter kämpfen. Die Gebärdensprache ist ein Menschenrecht, das es umzusetzen gilt.

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