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Horst Weidenmüller: “Wir meinen das ernst”

Horst Weidenmüller: “Wir meinen das ernst”
Foto: © Jorinde Gersina

Die Musikindustrie bemüht sich seit längerem um mehr Nachhaltigkeit. Wie stellt man aber als Label auf Nachhaltigkeit um? Das Berliner Musikunternehmen !K7 ist das erste seiner Art, das eine "Net Zero Strategie" verfolgt und einen umfassenden Transparenzbericht zum CO2-Fußabdruck vorgelegt hat. Um was geht es? Ein Besuch an der Wirkungsstätte im Berliner Wedding. 
 

VON Jens Thomas       und Josephine Lass

 

Wenn man den Säuleneingang durch den altehrwürdig anmutenden Garten mit Springbrunnen und Rosenbüschen betritt, würde einem nicht in den Sinn kommen, dass hier vor einigen Jahrzehnten noch Schädel und Knochen unter dem heute gepflegten englischen Rasen lagen. Das von einer hohen Steinmauer und neueren Gebäuden umgebene Gelände, gleich beim S-Bahnhof Wedding, ist ein ehemaliges Krematorium. Zu seiner Zeit, bei der Eröffnung 1912, war es das erste Krematorium in Berlin. Heute liegt dort das silent green - ein Veranstaltungs- und Kulturort. Angesagte Indie-Bands wie Andy Shauf oder Weval spielten hier genauso vor ausverkauftem Publikum wie das Gelände eine neue Heimat für rund 100 Kreative ist - darunter Institutionen wie das Musicboard Berlin oder das Unternehmen !K7. 

Wir sind mit Horst Weidenmüller, dem Chef von !K7, verabredet. !K7 ist ein Berliner Vorzeigelabel. Gegründet 1985 und durch alle Berliner Höhen und Tiefen sowie alle Krisen der Musikindustrie gegangen, ist es heute einer der ersten Musikunternehmen mit einer Net Zero Strategie, was so viel bedeutet wie, dass man eine klare Nachhaltigkeitsstrategie zur CO2-Einsparung verfolgt. Weidenmüller ist 59 Jahre alt. Er hat schulterlange braune Haare und eine gold-gerahmte Brille im Fliegerlook. Sein Haar fällt ihm beim Sprechen immer wieder ins Gesicht. Weidenmüller sieht erholt aus, so als käme er gerade aus dem Urlaub. In luftiger Kleidung sitzt er mit uns in einem Vorraum seines Büros in einem Seitenflügel des Haupthauses, wo insgesamt 42 !K7-Beschäftigte Platz haben. 

Mit Indie-Acts wie den Einstürzenden Neubauten oder Nick Cave fing alles an. Heute konzentriert sich das Label !K7 auf den internationalen Markt und hat neben der Gründungsstätte Berlin noch Büros in London und New York

Weidenmüller fängt an zu erzählen, über das alte Berlin, über neue Herausforderungen, die Musikindustrie mit veralteten Konzepten und Neuerungen, die es braucht. Damals, vor 42 Jahren, sagt er, sei er als 17-Jähriger nach Berlin gekommen und habe erst mal in einem der besetzten Häuser in der Bülowstraße gewohnt. Berlin, das war die Stadt der Kriegsdienstverweigerer, in Kreuzberg waren die Nächte immer lang und wenn das Licht ausging, war es schon wieder Morgen. An Ökologie habe damals keiner gedacht, auch er nicht, trotz des alarmierenden Berichts des Club of Rome von 1972 und des Brundtland-Reports 1987, die damals schon darlegten, dass es um die Zukunft des Planeten schlecht bestellt ist. Bei !K7 drehte sich alles um Musik. Dabei war man zunächst kein klassisches Label, mehr eine Fernsehproduktionsfirma für Indie-Acts wie die Einstürzenden Neubauten oder Nick Cave. Das damalige Problem, entsprechende Musikrechte für die Aufnahmen zu bekommen, erkannte Weidenmüller schnell. Darum nahm er Punk-Konzerte mit der Filmkamera auf, er archiviert sie. Später produzierte er die ersten computeranimierten Techno-Videos, die bei MTV hoch und runter liefen. "Das war unsere erste Geldquelle", sagt der !K7-Chef. Und man habe sich von Beginn an auf den internationalen Markt konzentriert. Das sei bis heute so. !K7-Büros gibt es neben Berlin auch in London und New York.

Oben: Das Kulturquartier silent green bei Nacht, Foto © Cordia Schlegelmilch. Unten: Die Urnenhalle und der Urnenhain 1914. Foto © silent green. 

Weidenmüller führt uns durch das Unternehmen, es hat zwei Stockwerke, mehrere Räume für die Mitarbeiter*innen, eine Küche. Alles wirkt gepflegt, fast schon steril, nur zwei Punks auf einem Großbild erinnern an alte Tage, die damals schon gezählt waren. Heute ist !K7 ein kleines Imperium. Die Labelgruppe umfasst sechs In-House-Labels – darunter das preisgekrönte Strut Records. 63 Labelpartner sind angeschlossen, 27 verschiedene Vertriebspartner sind rund um den Globus verteilt. Die Hauptarbeit bei !K7 besteht darin, Künstler*innen unter Vertrag zu nehmen und den Vertrieb der Sublabels zu organisieren. Dabei sind zahlreiche Acts über die Jahre aus !K7 hervorgegangen - darunter elektronische Formationen wie Kruder & Dorfmeister, Peggy Gou oder die dystopischen Einstürzenden Neubauten. Und neben vielen elektronischen Bands, die anfänglich den Grundstein für das Label legten, gehören mittlerweile auch Dub-Bands wie die neuseeländische Fat Freddy’s Drop oder die Indie-Dance-Gruppe Whitest Boy Alive zum Repertoire.

Wir kommen im Chefbüro in der zweiten Etage an, Weidenmüller bietet uns Platz an, wir sind schnell beim Du. Das mit der Nachhaltigkeit habe sich bei ihm seit 2018 durchgesetzt, sagt er. Die Hälfte seines Unternehmens beschäftige sich mittlerweile mit dem Thema. Er selbst ist Gründer und Vorsitzender der IMPALA Sustainability Task Force, die Indie-Labels und Musiker*innen weltweit miteinander vernetzt und Nachhaltigkeitsprogramme für Player im Business erarbeitet. So wurde über die Sustainability Task Force ein Handlungsleitfaden zur Nachhaltigkeit für Labels erstellt, auch ein C02-Rechner ist entstanden, auf den allein in Europa 6.000 Mitglieder Zugriff haben. Zudem hat !K7 als erstes und bislang einziges Label einen umfassenden Transparenzbericht zum CO2-Fußabdruck vorgelegt - bis zu 40 Prozent an Emissionen wolle man darüber einsparen, bis 2030 will man klimapositiv sein, was so viel bedeutet wie, dass nicht nur ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre erzeugt wird (klimaneutral), sondern sich der Anteil der Treibhausgase verringert. Auch hat man bereits eine virtuelle CO2-Steuer umgesetzt, worüber 45 Euro pro ausgeschüttete Tonne Emissionen in Projekte investiert werden, die CO2 reduzieren - darunter Renaturierungsprojekte wie Moorfutures oder Nicaforest. 

V.l.n.r.: Labelchef Horst Weidenmüller und Nachhaltigkeitsmanager Karl Kobs. Foto: © CCB Magazin

Das !K7-Büro, erste Hilfe garantiert. Foto: © CCB Magazin

Mit Blick fürs Ganze, die !K7-Mitarbeiter*innen. Foto: © CCB Magazin

Wie stellt man als Label aber auf Nachhaltigkeit um? Was sind die größten Posten, wo liegen die Probleme? Zur Runde gesellt sich Karl Kobs, der bei !K7 mit 19 weiteren Mitarbeiter*innen das Thema Nachhaltigkeit verantwortet. Der Mitt-30-Jährige trägt eine weiße Leinenhose und Birkenstocks, er wurde extra für den Schwerpunkt Herstellung und Distribution eingestellt. "85 Prozent unserer Emissionen sind auf die Herstellung und Distribution zurückzuführen", unterstreicht der Nachhaltigkeitsmanager. Und zur Reduzierung sei man letztlich auf die Presswerke angewiesen. "Die sind aber das Problem", fügt Weidenmüller hinzu. Die Presswerke wollten keine Transparenz, die hätten Angst, dass Emissionen als neues Kriterium gelten könnten, was am Ende mehr Geld kosten würde. 

Kosten einsparen und Ressourcen schonen, das ist eines der zentralen Themen in der Musikindustrie. Fallen auf Konzerten und Tourneen im Bereich der Mobilität die meisten CO2-Emissionen an, sind bei einem Label die größten Posten Herstellung und Vertrieb

Im Gegensatz zum Rest der Musikindustrie, wo Mobilität und das Streaming die Hauptverursacher der CO2-Emissionen sind - bis zu 90 Prozent der Emissionen fallen auf Konzerten auf die Posten Anreise und Mobilität an -, ist es bei einem Label der Vertrieb: "CDs oder Vinyl lassen sich zwar über Papp-Sleaves verkaufen, die recycelfähig sind", unterstreicht Kobs. Bei der Vinyl-Herstellung komme man dagegen schnell an Grenzen, da Vinyl noch immer mit Polyvinylchlorid (PVC) hergestellt wird, was einen enormen Energieverbrauch bedeutet und Erdöl als Rohstoff verschlingt. Obendrauf komme noch das Musik-Streaming, auf das man eh keinen Einfluss habe. So haben Forscher*innen der Universitäten in Glasgow und Oslo errechnet, dass die US-Musikindustrie dank Streaming zwar weniger Plastikmüll produziert, die Treibhausgasemissionen sind aber gestiegen. Nach Berechnungen von Sharon George von der Keele University in Newcastle hat die US-Musikindustrie 2016 im Vergleich zu 1977 45 Prozent mehr CO2 verbraucht, in der Summe sind das über 200.000 Tonnen. Um dem zu begegnen, erledigt !K7 seine Hausaufgaben zunächst in-house: 22 Prozent der CDs und Vinyls werden mittlerweile mit dem Schiff versendet, was nicht nur 80 Prozent der Emissionen einspart. Es reduziert auch die Kosten um bis zu 60 Prozent. Zudem stellt man im Unternehmen wo es geht auf Nachhaltigkeit um - vom Wasserverbrauch der Toiletten und Wasserhähne bis zur Auswechslung aller Glühbirne auf LED. Ökostrom beziehe man ohnehin, und das Fliegen wird soweit es geht vermieden. 

Überhaupt, Kosten einsparen und Ressourcen schonen, das ist eines der zentralen Themen in der Musikindustrie. War es in den 2000er Jahren das Filesharing, das die Musikindustrie über das kostenlose Downloading in die Knie zwang, sind es heute die Streaming-Anbieter, die Ressourcen verschlingen, Künstler*innen verdienen an den Erlösen aber kaum etwas. Weidenmüller ist es darum daran gelegen, die Deals mit seinen Acts möglichst fair abzuschließen. "Wenn jemand kommt und mir erzählt, er sei der nächste geile Scheiß und überzeugt mich, bekommt der gerne mal bis zu 90 Prozent". Andere bekommen wiederum 20 Prozent, und die Verteilung hänge letztlich davon ab, wie hoch das Risiko sei, denn die Hauptaufgabe eines Labels liege darin, Verantwortung für neue Künstler*innen zu übernehmen, die ohne entsprechende Investitionen kaum einer wahrnehmen würde. Und Verantwortung übernehmen bedeutet für Weidenmüller ökologische und soziale Verantwortung zugleich - dazu gehören nicht nur seine Renaturierungsprojekte, die über die Unternehmenseinnahmen finanziert werden. Dazu gehöre auch die faire Mitarbeiterführung und -bezahlung, darum wolle man im nächsten Jahr auch eine B Corp werden, was eine Art Zertifizierung für Unternehmen ist, die Faktoren wie faire Mitarbeiterführung und -bezahlung berücksichtigen und Spenden für wohltätige Zwecke aufbringen. "Wir meinen das hier wirklich ernst". 

Es wird spät, draußen tut sich ein Gewitter auf, wir räumen noch unseren Platz und der !K7-Chef persönlich bringt uns noch vor die Tür. Hier im Vorhof, wo bis 2002 Berlins erstes Krematorium in Betrieb war, schlägt heute ein neuer Zeitgeist. Für Weidenmüller und sein Team heißt das: Aufstehen für neue Zeiten. War es früher das Zerstörerische der Einstürzenden Neubauten, das im subversiven Berlin dem Mainstream trotzte, ist es heute ein aufrechter Gang für mehr Nachhaltigkeit, der in den Mainstream reicht. So haben erst kürzlich die drei großen Riesen Sony, Warner und Universal zusammen mit anderen Labels wie Warp oder Ninja Tune den Musik-Klimapakt unterzeichnet, um ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren und bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Für Weidenmüller sind das gute Zeichen. "Wir wollen unsere Nachhaltigkeitsstrategie in den Mainstream bringen“, macht der Labelchef deutlich. Weidenmüller steht auf dem Hof und rückt sich ein letztes Mal seine Brille zurecht. Er blickt zuversichtlich auf den Säuleneingang. "Wir brauchen jetzt Nachahmer", macht er klar. Es wäre nicht das erste Mal, dass ihm der nächste Sprung gelingt. 
 


 

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