Vernetzung, Räume Zurück

Robert nicht allein im House

Robert nicht allein im House
Foto: © Jens Thomas

Die Corona-Krise hat die Kulturlandschaft ordentlich durcheinandergewirbelt, erst jetzt kommt sie langsam wieder in Fahrt. Gerade der Veranstaltungsbereich und die Musikindustrie leiden aber noch immer. Wir haben dem im Jahr 2019 gegründeten Kultur-Hub House of Music in Berlin-Friedrichshain einen Besuch abgestattet und gefragt: Wie hat sich die Musikindustrie erholt?
 

Text Jens Thomas

 

Die Tage, als die subversive Horde in den Ruinen des R.A.W-Tempels ihr Unwesen trieb, sind vorbei. Das R.A.W-Gelände, zentral gelegen hinter der Warschauer Brücke im dauerlärmenden Friedrichshain, war lange Zeit ein in Beton und Asphalt gegossener Bürgerschreck. Nachts war es dort immer kälter als draußen und drinnen in den Clubs roch es nach Schweiß. Heute, im Jahr 2023, ist vieles anders. So mancher Club existiert noch immer, die Frittierbuden am Eingang jedoch überbieten sich im Wettbewerb, und der ein oder andere Tourist verirrt sich hier jetzt gerne. Nur die bunten und an nahezu jede Hauswand gesprühten Graffitis erinnern noch an die alten Tage, die damals schon gezählt waren.

Inmitten des Ganzen, etwas abgelegen in der zweiten Reihe, steht das House of Music, ein prunkvolles Gebäude, fertigstellt 2019, das auf Basis einer fast 150 Jahre alten ruinösen Industriehalle als neue Hoffnung der Berliner Musikindustrie erscheint. Das Gebäude erstreckt sich über drei Stockwerke und einer Fläche von 4500 m²; über 1.000 Menschen gehen hier täglich ein und aus. Das House of Music ist keine eigenständige Institution. Es ist eine Bündelung und Anlaufstelle für bestehende Unternehmen und Projekte wie das BIMM (British and Irish Modern Music Institut), der noisy Rooms oder dem Music Pool Berlin - hinzu kommen Unternehmen wie Yamaha, Drum Trainer Berlin oder Mermande Sound. 2019 zog man gemeinsam von der Warschauerstraße auf das R.A.W-Gelände um.

Corona war für uns der Worst Case. Wir wollten gerade loslegen. Dann kam alles zum Erliegen

Heute befinden sich im Inneren 23 Proberäume, Studios, DJ-Kabinen, ein Eventbereich, dazu gibt es Seminar- und Schulungsräume, ebenso Ausstellungsflächen und eine Büroetage. Kurz nach der Fertigstellung, im Herbst 2019, wurde alles anders: Corona kam, und mit ihr die Angst. Die Musikindustrie traf das Virus damals genauso hart wie den Veranstaltungsbereich. Laut einer Umfrage vom Landesmusikrat Berlin sahen 2021 bereits 29 Prozent der Musikschaffenden keine berufliche Perspektive mehr und planten einen Berufswechsel oder hatten ihn schon vollzogen - nur ein Fünftel blickte positiv in die Zukunft. Heute sind die Terminkalender mancher Auftrittsorte wieder voll, die Hallen bleiben dennoch oft leer - Großevents von Grönemeyer und Konsorten ausgenommen.

Wie erholt sich ein Knotenpunkt wie das House of Music von der Krise? Wir sind an diesem Tag mit Robert Witoschek verabredet, schlanker Mann in lockerer Hose, Bandshirt, da und dort eine Tätowierung. Witoschek ist im House of Music so etwas wie der Allrounder - er ist tätig bei BIMM, zugleich beim Music Pool Berlin, zuvor arbeitete er als einer der Inhaber bei noisy Musicworld und hat die ganze Entwicklung über die Jahre mitbegleitet. "Corona hat uns hart getroffen", stellt der Musikmanager klar. "Für uns war das damals der Worst Case". 2019, als das Virus ausbrach, ging es mit dem House of Music gerade erst los: "Die Baumaßnahmen waren fertig, das Konzept stand". Zudem habe man einen 30-Jahres-Mietvertrag für das Gebäude ausgehandelt.

Im Inneren des Hauses. Oben: Kulturmanager Witoschek, Foto © Josephine Lass. Unten: Eine der Konferenzen, Foto © Jana Nita Raker. 

"Plötzlich kam alles zum Erliegen und unsere Zahlen brachen 2020 um bis zu 70 Prozent ein", sagt auch Mathias Uredat, Geschäftsführer der noisy Musicworld GmbH. Zwar konnte man Teilprojekte ins Digitale retten - so ließ sich der Betrieb des BIMM beispielsweise aufrechterhalten. Das Konzept sieht vor, dass keine klassischen ausgebildeten Musiklehrer*innen Unterricht erteilen, sondern gestandene Profis die Karriere veredeln - darunter Schlagzeuger wie Budgie von Siouxsie and the Banshees und The Cure. Um aufgenommen zu werden, muss man bereits Profi sein, wird in Sachen Stil, Marketing, Bühnenerfahrung etc. aber weiter geschult. Während Corona wurden die Sessions einfach digital abgehalten. Andere Bereiche, wie die senats- und EU- geförderte Beratungsstelle für Musiker*innen Music Pool Berlin, konnten sogar einen Zuwachs verzeichnen, weil die Nachfrage nach öffentlichen Geldern und Corona-Hilfen stieg. "Trotzdem waren das drei Jahre Existenzängste", schiebt Witoschek hinterher. Dank guter Lüftungsanlagen habe man jedoch schnell eine Wiederaufnahmegenehmigung bekommen. Bereiche wie die Gastronomie und der Tourbusverleih hätten die Krise aber nicht überlebt. "Das hat sich irgendwann einfach nicht mehr gerechnet".

Mittlerweile herrscht im House of Music wieder Regelbetrieb. Maik zum Beispiel, Schlagzeuger, will sich an diesem Tag eine Kabine zum Üben anmieten. Ein anderer, Eric Eitel, ist gerade auf dem Weg zu seinem Büro - er arbeitet bei Music Pool Berlin. Die Büros sind klein und schlicht, die Übungsräume schallschutzisoliert. Das Akustik-Konzept wurde dazu von Wilsing Wilson von der Wax GmbH entworfen, eine Art Franchise-Model für Räume - im Haus selbst ist ein zweites Haus integriert, um den Lärm von der Außenwelt abzuhalten. Jeder einzelne Raum ist zudem wie eine freie Box angeordnet, ohne Kontakt zu den anderen Räumen - drinnen wird gelärmt, draußen hört man nichts.

Lärm- und schallschutzsicher: Einer der Proberäume in den noisy Rooms. Foto © Jens Thomas 


Auf dem Hof wiederum sitzen vereinzelt Gäste in der Sonne, im Inneren huschen Menschen umher, im vorderen Bereich steht ein Schlagzeug, daneben führt eine Treppe in den oberen Bereich, wo die Proberäume und Büros Tür an Tür angesiedelt sind. Man könnte es die Ironie des Schicksals nennen, dass gerade jetzt, wo die Hallen für Konzerte wieder voller werden, auch die Nachfrage nach Proberäumen steigt, zumal Proberäume in Berlin ohnehin seit Jahren teuer und knapp sind - davon profitiert letztlich auch das House of Music. Auch werden viele Konzerte in der Post-Corona-Zeit derzeit nachgeholt, und hier und da bucht mal eine Band einen Raum, um am gleichen Abend noch auf der Bühne zu stehen. Bestes Beispiel: Die Band Pussy Riot, in Russland lange Zeit inhaftiert, buchte einen Tag nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine einen Raum in den noisy Rooms. "Davon wusste hier aber keiner was", sagt Witoschek. "Am Abend haben wir dann unsere eigenen Räume im Fernsehen wiedererkannt".

Gerade jetzt, wo die Hallen für Konzerte wieder voller werden, steigt auch die Nachfrage nach Proberäumen. Man könnte es die Ironie des Schicksals nennen, dass das House of Music davon profitiert

Das House of Music geht jetzt ins vierte Jahr, und Geschichten gäbe es noch einige zu erzählen. Es hat die Krise, wenn auch mit Narben, überlebt. Vom Wandel der Musikindustrie, wonach 80 Prozent der Erlöse heute vielerorts über Life-Events eingefahren werden, weiß man im House of Music ein Lied zu singen, denn davon profitiert man auch hier. Auch hat man sich mehr und mehr zur zentralen Anlaufstelle entwickelt; führende Veranstaltungen wie das WISE-Festival, Sample Music Festival oder das German Song Writing Festival finden hier eine neue Heimat,  und Pläne für die Zukunft hat man auch schon. So ist derzeit beispielsweise das House of Music Hamburg geplant. "Das wird zwar noch drei, vier Jahre dauern, aber wir sind dran", sagt Witoschek. Die Erfahrungen, die man in Berlin über die Jahre sammeln konnte, will man mit in die Hansestadt nehmen - das BIMM Hamburg gibt es bereits, wo Musiker der Sterne und Tocotronic lehren. Jetzt sind die nächsten Schritte geplant. Zudem ist man in Sachen Nachhaltigkeit schon einigermaßen gut aufgestellt. Eine Solaranlage ist bereits auf dem Dach, und wenn mal einer ausgegeben wird, geht der gerne mal aufs Haus. Das ist an den nahegelegenen veganen Würstchenbuden an der Warschauer Brücke nicht anders. Hier werden Getränke in Dauerschleife gereicht, laut ist es ohnehin, über 70.000 Menschen tingeln an einem Wochenendabend über die lärmende Warschauer Brücke. Von all dem Krach bekommt man im House of Music wiederum nichts mit. Hier wird der Sound in die Kabinen verlegt, schallschutzsicher, abgeriegelt von der Außenwelt. Und wenn mal ein Song nach draußen geht, ist er oftmals für diese Welt - nicht selten sogar bühnentauglich und krisenfest.

 


 

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