Digitalisierung & KI Zurück

Zurück zum Localverse

Zurück zum Localverse
Foto: © Siegfried & ROI AG

Die Berliner Gründerinnen Eva Balmaks und Jasmin Oestreich haben Großes vor: Mit ihrer Winkt-App wollen sie lokale Gemeinschaften stärken und den Kiez beleben. Aber gibt es nicht schon genug soziale Community-Plattformen auf dieser Welt? Im Gespräch mit uns erklären sie, warum es ihre App braucht.  
 

INTERVIEW  Boris Messing

 

CCB Magazin:Hallo Eva und Jasmin. Ihr habt mit Winkt eine Kiez-App zur Vernetzung und Stärkung lokaler Communitys gegründet. Wie und wann kamt ihr auf die Idee zur Gründung eures Unternehmens?

Eva Balmaks:Das Ganze ging während Corona los. Kontakte waren eingeschränkt, ich war wie alle viel zu Hause. Als ich einmal mit Menschen aus der Nachbarschaft gemütlich im Innenhof zusammensaß, kam mir plötzlich eine Idee. Ich dachte, es ist so schön mit all diesen Menschen hier zusammenzusitzen, ich wünschte, ich könnte noch mehr Menschen aus der Nachbarschaft Bescheid geben, dass wir hier gerade sind und jeder willkommen ist. Aber wie hätte ich das spontan machen können? Das war die Initialzündung für Winkt – die Idee, Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung im Hier und Jetzt, ganz unkompliziert, Informationen zu geben, was gerade wo passiert. Die Facebooks, Twitters und Instagrams dieser Welt haben mir dabei nicht weiterhelfen können. Und daraufhin habe ich mich auf die Suche nach Leuten gemacht, die das mit mir umsetzen wollten. 

Jasmin Oestreich:Ich hatte dann etwas später Eva auf einem Pitch-Event von „Looking for Female Co-Founder“ in Berlin getroffen. In dieser Zeit war ich als Chief Operational Officer für ein Startup tätig. Ich hatte auch im Bereich der Fördermittelberatung für Startups gearbeitet und darum einen recht guten Überblick. Evas Pitch hatte mich sofort überzeugt und so sind wir im Februar 2021 als Gründerinnen zusammengekommen. 

Eva Balmaks: Unsere App richtet sich an Menschen, die eine Begeisterung haben und diese Begeisterung mit anderen Menschen der Umgebung spontan teilen möchten. Mit Winkt wollen wir ein lokales Ökosystem in Echtzeit erlebbar machen

CCB Magazin:Mal kurz erklärt: Wie funktioniert die App? Welche Features gibt es? 

Jasmin Oestreich:Zentrales Feature der App ist eine interaktive Kartenansicht, auf der man Postings sehen und publizieren kann. Das heißt, dass man zum Beispiel einen kurzen Text schreibt oder ein Bild postet, welches an einem bestimmten Ort für bestimmte Zeit für andere zu sehen ist. Der Content wird mit Hilfe von GPS auf der Karte gepostet. Zudem hat man ein Profil und kann Gruppen gründen, die dann auch wieder an einem Ort bestehen bleiben und in denen sich immer diejenigen engagieren können, die tatsächlich vor Ort sind. Es gilt: Alle Menschen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sich untereinander austauschen. 

CCB Magazin:Bedeutet das, dass die geposteten Events, die man auf der Karte sieht, nur in einem bestimmten Radius für andere sichtbar sind?

Jasmin Oestreich:Genau. Wie groß dieser Radius sein soll, lässt sich in der App einstellen. Das gilt sowohl für Content, der für andere sichtbar sein soll, als auch für Content, den ich selbst sehen möchte.

Eva Balmaks:Ich gebe dir mal ein Beispiel. Jeder von uns freut sich, Gleichgesinnte in seiner Nähe zu haben. Vielleicht fühlen wir uns zugehörig zu den Kreativen, LGBTQs, Musikliebhabern oder wir sind bei Fridays for Future aktiv. Wir befinden uns gerade im Co-Working-Space des „Impact Hub Berlin“ und an diesem Ort finden viele Community Events statt. Beispielsweise gehen manche von uns später gemeinsam joggen. In Winkt kann ich jetzt also schreiben: „Wir gehen joggen. Wer kommt mit? Treffpunkt um 17.00 Uhr am Eingang.“ Dann muss ich mir noch überlegen, ob ich den Post an alle Menschen in meinem Radius schicke oder in die Gruppe vom Impact Hub. Außerdem kann ich das Posting so einstellen, dass es sich um 17.05 Uhr automatisch wieder löscht, weil die Jogger dann ja schon losgelaufen sind und die Information dann nicht mehr relevant ist.

CCB Magazin:Vor der Realisierung eures Unternehmens habt ihr eine User-Studie durchgeführt. Was wolltet ihr damit in Erfahrung bringen und was habt ihr durch sie herausgefunden?

Eva Balmaks:Wir hatten die Chance, über 7000 Menschen deutschlandweit zu befragen. Wir wollten von ihnen erfahren, inwieweit sie sich für Informationen aus ihrem unmittelbaren Umfeld interessieren. Unsere Learnings: Menschen kaufen bei lokalen Geschäften ein, weil es einen persönlichen Bezug gibt. Weil man sich kennt und persönlich unterhalten kann. Weil man aus dem gleichen Kiez kommt. Weil man sich quasi in einer Lieblingskunden-Community erlebt. 

Jasmin Oestreich: Es braucht eine App, die dir sagt, was im Hier und Jetzt um dich herum passiert. Winkt stellt eine interaktive Kartenansicht ins Zentrum der User Experience. Egal, wo du dich gerade bewegst: Winkt zeigt dir an, was gerade in deinem eingestellten Radius passiert

CCB Magazin:Aber eure App richtet sich doch nicht nur an Kunden und Geschäftstreibende, oder? Anders gefragt: Gibt es eine spezielle Zielgruppe, an die sich eure App richtet? 

Eva Balmaks:Unsere App richtet sich an Menschen, die eine Begeisterung haben und diese Begeisterung mit anderen Menschen der Umgebung spontan teilen möchten. Das kann das frische Angebot im eigenen Café, Restaurant oder Shop sein oder sich auf Sport, Kultur oder Kreatives beziehen. Wir sprechen globale Netzwerke von like-minded Menschen an, die sich lokal innerhalb ihres Netzwerks austauschen und treffen möchten. 

CCB Magazin:Wie seid ihr an die Gründung rangegangen: Wie habt ihr die Arbeit zwischen euch aufgeteilt? Wie habt ihr euer Unternehmen finanziert?

Jasmin Oestreich:Eva und ich haben beide Betriebswirtschaft studiert. Ich bin für das operative Geschäft zuständig sowie Investor Relations, Finance, Legal, Steuer und aktuell auch im Sales. Eva übernimmt das Storytelling, Sales, Business Development, Relationship & Stakeholder Management. Im ersten Jahr haben wir unser eigenes Geld in die Gründung investiert, dann haben wir Geld vom Accelerator der „Berlin Startup School“ bekommen und Business Angels gefunden, die in uns und unsere Idee investiert haben.

CCB Magazin:Gefühlt gibt es eine App für alles, im Meer der Apps findet man sich kaum noch zurecht. Winkt erinnert mich von der Idee her an Nebenan.de. Wozu braucht es eine weitere Social-Community-Plattform, gibt es nicht schon genug?

Jasmin Oestreich:Ja, es braucht noch eine App, weil es noch keine App gibt, die dir sagt, was im Hier und Jetzt um dich herum gerade passiert. Und das macht Winkt. Bei Nebenan.de ist die Kommunikationsreichweite an die Postleitzahl gebunden und statisch nicht dynamisch. Winkt stellt seine interaktive Kartenansicht ins Zentrum der User Experience. Egal, wo du dich gerade bewegst: Winkt zeigt dir an, was gerade in deinem eingestellten Radius passiert.  

CCB Magazin:Wie können Künstler*innen und Kreativschaffende von der App profitieren?

Eva Balmaks:Künstler*innen, die Events machen, Ausstellungen, Konzerte, Buchlesungen etc., und offen dafür sind, dass Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft hinzukommen, können mit Winkt auf sich aufmerksam machen. Zum Beispiel zu einer spontanen Jam-Session einladen oder eine Theateraufführung irgendwo in einem Künstler-Keller bewerben. Dieses Künstlerische und Kreative, das vielleicht irgendwo in einer Seitenstraße versteckt bliebe, lässt sich durch ein ‚digitales winken‘ in der App für andere sichtbar machen. So können Menschen einfach und schnell einander informieren und inspirieren. Auch Co-Working-Spaces, Ateliers usw. lassen sich auf der Karte abbilden. 

Jasmin Oestreich: 98,1 Prozent des europäischen Risikokapitals werden in männlich geführte Startups investiert. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Frauen weniger gründen, denn sie haben weniger Chancen, weniger Kapitalzugang, weniger Kontakte und weniger Vertrauen

CCB Magazin:Seit wann ist die App verfügbar und wie viele nutzen sie bereits? 

Jasmin Oestreich:Die App ist seit September 2021 im App- und Play-Store verfügbar und wird von über 3000 Usern genutzt. Hauptsächlich kommen diese aus Berlin.

CCB Magazin:Ihr bezeichnet die App auch als Localverse. Ist das nur ein Schlagwort oder spielt da auch die Überlegung mit rein, die App zu einem virtuellen Raum zu erweitern?

Eva Balmaks:Das ist kein bloßes Schlagwort, sondern eine gedankliche Gegenbewegung zu dem, was wir als Metaverse kennen. Das Metaverse ist ein digitaler Raum, in dem wir uns von der Realität bewusst entkoppeln bzw. diese Realität durch den Einsatz von Technik verzerren. Im Gegensatz dazu ist das Localverse unmittelbar an die Realität eines konkreten Ortes und dessen Menschen gekoppelt. Das Localverse wird ein digitaler Raum sein, der nicht zwangsläufig durch Algorithmen und künstliche Intelligenz gefiltert oder durch Augmented Reality angereichert ist. Es wird ein digitaler Raum sein, der durch die reale, physische Nähe der Menschen untereinander gestaltet und gefiltert wird. Designer sagen dazu auch „human-centered“. Das bedeutet: Ich und mein Standort werden der Mittelpunkt von Design und Technik sein. Meine Präsenz und meine Nähe zu den Menschen und zu den Erlebnissen, die mich an meinem Standort umgeben, wird das Maß aller Dinge sein. Es geht im Endeffekt darum, ein lokales Ökosystem in Echtzeit für uns Menschen erlebbar zu machen. 

Eva Balmaks: Die Strategie von Winkt ist es, Schnittstellen mit anderen ortsbezogenen Dienstleistern und Content Creators anzubieten und Dritt-Informationen in die Winkt-Kartenansicht zu integrieren. So wollen wir Schritt für Schritt bzw. Schnittstelle für Schnittstelle an einem Localverse bauen

CCB Magazin:Laut Deutschem Startup Monitor waren im Jahr 2022 nur 20,3 Prozent aller Gründer weiblich. Wie kommt’s? Warum gründen Frauen seltener? 

Jasmin Oestreich:Wo soll ich da anfangen!? Wir kennen alle den Stereotypen des „alten weißen Mannes“, dessen strukturell gefestigte, privilegierte Position sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat und sehr beharrlich ist. 98,1 Prozent des europäischen Risikokapitals werden in männlich geführte Startups investiert. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Frauen weniger gründen, denn sie haben weniger Chancen, weniger Kapitalzugang, weniger Kontakte und weniger Vertrauen. 

Eva Balmaks:Frauen und Männer denken anders, kommunizieren anders und lösen Probleme anders. Die verbliebenen 1,9 Prozent Wagniskapital, die in weibliche Gründerinnen fließen, sind so gut wie nichts. Gerade in Krisenzeiten verschärft sich der Unterschied noch. Dann nämlich wird Risiko dadurch vermieden, dass Menschen in bereits Bekanntes und Vertrautes investieren. So gesehen kämpfen wir mit unserem Startup gegen die Statistik.  

CCB Magazin:Was ist eure Vision, wohin soll die Reise noch gehen?

Eva Balmaks:Die heutige Social-Media-Welt erschöpft uns immer mehr, weil der Bezug zu der realen Nachbarschaft und der realen Umgebung fehlt. Winkt kann das ändern und wieder mehr lokale Begegnungen ermöglichen. Die Strategie von Winkt ist es, Schnittstellen mit anderen ortsbezogenen Dienstleistern und Content Creators anzubieten und Dritt-Informationen in die Winkt-Kartenansicht zu integrieren. So wollen wir Schritt für Schritt bzw. Schnittstelle für Schnittstelle an einem Localverse bauen. 

Rubrik: Innovation & Vision

rss

Schon gelesen?

schließen
schließen

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen.
Datenschutzerklärung | Impressum