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Evoléna de Wilde d'Estmael: "Wir wollen den Re-Commerce größer machen als den E-Commerce"

Evoléna de Wilde d'Estmael: "Wir wollen den Re-Commerce größer machen als den E-Commerce"
Foto: © Lisa Maria Pippus

Nach ihrer Auszeichnung der Kultur- und Kreativpilot*innen blicken die beiden Gründer*innen von Faircado optimistisch in die Zukunft. Ihre Plattform, eine Browser-Erweiterung für Second-Hand-Produkte, trifft auf den Nerv der Zeit. Darüber und wie Second-Hand den Konsum revolutionieren könnte sprachen wir mit Evoléna de Wilde d'Estmael.  
 

INTERVIEW  Boris Messing

 

CCB Magazin:Hallo Evoléna, du hast Faircado zusammen mit Ali Nezamolmaleki im Juli 2021 gegründet. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Ich habe schon immer Sachen aus zweiter Hand gekauft. In Brüssel, wo ich aufgewachsen bin, bin ich immer mit meiner Patentante, die auch eine Leidenschaft dafür hat, auf Flohmärkte gegangen. Wir haben diese Art der Schatzsuche einfach geliebt. Dann, im Jahr 2020, zog ich in eine unmöblierte Wohnung in Berlin und brauchte ein paar Möbel und andere Dinge. Aber ich habe so viel Zeit damit verbracht, diese Dinge zu finden! Ich suchte auf verschiedenen Plattformen und es war frustrierend, wie lange es dauerte. Ich erzählte Ali davon, der bereits mit mir in einem anderen, aber nicht unserem eigenen Startup arbeitete, und er ist, nun, ein technisches Genie, das ungefähr tausend Ideen pro Sekunde hat. Er wusste genau, wie die Lösung aussah, und es klang so cool, dass wir beschlossen, es zu tun. So fing es an.  

CCB Magazin: Bevor wir ins Detail gehen, würde ich gerne noch eine andere Sache wissen. Du kommst aus Brüssel. Wenn ich mich nicht irre, wolltest du nach deinem Studium eigentlich in die Politik gehen, hast dich dann aber doch für Berlin entschieden. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Ja, das ist richtig, das war eine ziemlich überraschende Reise. Ich wurde in eine Familie hineingeboren, die politisch aktiv und sozial engagiert ist, so dass ich mich schon früh für die EU und ihre Strukturen und so weiter interessierte. Ich habe Öffentlichkeitsarbeit und Europastudien studiert, und nach dem Studium bekam ich viele Jobangebote, um im Politikbetrieb zu arbeiten. Ich war erst 23 und mir wurde klar, dass es noch viel von der Welt zu entdecken gab. Vor allem die andere Seite der Macher: die Unternehmer und Innovatoren. Und der beste Ort, um das zu entdecken, war natürlich Berlin. Ich hatte dann ein Praktikum in einem Startup gemacht und war total begeistert davon, wie lebendig, energiegeladen und vielfältig die Startup-Welt ist. Und hier bin ich nun, sieben Jahre später, immer noch in Berlin.

CCB Magazin:Was ist die Idee hinter Faircado? Wofür ist es gut? Und wie funktioniert es?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Faircado ist eine Plattform, die die meisten Second-Hand-Angebote im Internet zusammenführt. Wir arbeiten mit 55 der größten Plattformen zusammen, die gebrauchte Produkte anbieten, wie z.B. eBay, Rebuy, Refurbed, Vestiaire Collective, Gailed, usw., bringen deren Angebote an einem Ort zusammen, gleichen sie mit dem ab, was ein Nutzer sucht, und zeigen ihm die Ergebnisse. Faircado ist eine Browser-Erweiterung, d.h. du fügst es einfach zu deinem Browser hinzu - z.B. Chrome, Safari oder Firefox - und wann immer du online auf einer Plattform einkaufst, die neue Produkte anbietet - wie Amazon, Zalando, etc. -, erscheint automatisch eine Liste mit den besten Second-Hand-Alternativen zu dem, was du suchst. Im Moment haben wir etwa zehn Millionen mögliche Ergebnisse, die sich hauptsächlich auf Kleidung, Bücher und Elektronik beziehen. In Zukunft werden weitere Produktklassen hinzukommen. Die Idee dahinter ist natürlich, den Leuten zu helfen, besser einzukaufen. Es gibt so viele Dinge da draußen, und wir können sie nicht einfach weiter herstellen, gebrauchen und danach wegschmeißen.

Jede Sekunde werden weltweit mehr als 9.000 Smartphones und das Äquivalent eines Müllwagens voller Kleidung weggeworfen. Unsere Welt ist derzeit zu weniger als 10 Prozent kreislauffähig, das bedeutet, dass wir mehr als 90 Prozent aller verwendeten Materialien verschwenden

CCB Magazin:Hast du irgendwelche Zahlen zum Problem des nicht-nachhaltigen Konsums?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Jede Sekunde werden mehr als 9.000 Smartphones und das Äquivalent eines Müllwagens voller Kleidung irgendwo auf der Welt weggeworfen. Das meiste davon wird auf Mülldeponien in Afrika oder Südamerika entsorgt. Einem Bericht von The Circle Economy zufolge ist unsere Welt derzeit zu weniger als 10 Prozent kreislauffähig. Das bedeutet, dass wir mehr als 90 Prozent aller verwendeten Materialien verschwenden, während wir gleichzeitig immer noch mehr aus der Erde herausholen, als sie in einem Jahr regenerieren kann (das ist der Tag, an dem der Overshoot eintritt). Deshalb müssen wir den Übergang zu einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft beschleunigen. Eine, die Lösungen bietet, um die globale Erwärmung zu begrenzen, unsere natürlichen Ressourcen zu erhalten und gerechte Gesellschaften zu ermöglichen.

CCB Magazin:Faircado basiert auf KI-Technologie. Es fällt mir immer schwer, mir eine solche Technologie vorzustellen. Ich meine, wie zum Teufel funktioniert das? Irgendjemand muss das doch alles programmieren, oder? 

Evoléna de Wilde d'Estmael:Ja, Ali und unser Team von Entwicklern haben das programmiert. Dank seines Hintergrunds als Software-Ingenieur wusste Ali genau, welche Schritte unternommen werden mussten, um die Technologie hinter Faircado zu entwickeln. Um ehrlich zu sein, wäre ich auch nicht in der Lage, dir zu erklären, wie es funktioniert. Die meisten technischen Produkte sind für Leute wie uns, die keinen Hintergrund in diesem Bereich haben, ein großes Rätsel, und wir müssen das akzeptieren. Was ich dir sagen kann, ist, dass es ein sehr komplexer Prozess ist, den wir jeden Tag weiter verbessern.

Die beiden Gründer, Evoléna und Ali, auf dem Weg, die Welt zu verbessern. Foto: Mario Heller.

CCB Magazin:Wie leicht oder schwer war es, euer Startup zu finanzieren?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Wir haben von Anfang an Wege gefunden, unser Unternehmen zu finanzieren. Wir haben mit einem Zuschuss des Startup Incubator Berlin für die ersten sechs Monate begonnen. Und dann haben wir nach Business Angels gesucht, und es lief wirklich gut! Ich denke, der Grund dafür ist, dass wir durch das, was gerade in der Wirtschaft passiert, richtig in Schwung gekommen sind. Die Preise sind gestiegen, der Gebrauchtwarenmarkt boomt, die Leute versuchen zu sparen. Sie werden sich ökologischer Fragen bewusster und verlangen auch mehr nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Ich denke, dass diese allgemeine Richtung uns einen Schub gegeben hat.  

CCB Magazin:Inwiefern hilft euch die Auszeichnung der Kreativpiloten, die ihr kürzlich erhalten habt, mit eurem Geschäft?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Das ist definitiv gute PR für uns! Und wir sind auch stolz darauf, dass die harte Arbeit, die wir in Faircado gesteckt haben, anerkannt wurde.

CCB Magazin:Im Moment wird Faircado von etwa 1000 Menschen genutzt. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie viel Nutzer wünscht ihr euch? 

Evoléna de Wilde d'Estmael:Das ist richtig. Das sind unsere tollen Testnutzer. Sie geben uns großartiges Feedback darüber, was wir verbessern sollten. Das ist ein wirklich wichtiger Schritt im Leben eines Startups - alle großen Unternehmen haben ihn durchlaufen. Man muss klein anfangen - und groß denken! - und dabei sein Produkt schrittweise verbessern. Darauf konzentrieren wir uns im Moment: eine starke technische Grundlage für unseren Service zu schaffen. Ein großartiges Produkterlebnis! Als nächstes kommt das Wachstum. Und dafür, für das Marketing usw., werden wir mehr Geld auftreiben müssen.

Unser Ziel ist es, bis 2030 den Kauf aus zweiter Hand zur ersten Wahl der Kunden zu machen. Wir machen die Second-Hand-Branche, den Re-Commerce, größer als den E-Commerce

CCB Magazin:Gut, lass uns über den nächsten Schritt sprechen. Wie bringt man die Leute dazu, euren Service zu nutzen? 

Evoléna de Wilde d'Estmael:Wir sind nicht hier, um zu versuchen, die Leute zu überzeugen, unser Produkt zu benutzen. Vielmehr lösen wir ihre Probleme und lassen sie den Wert des Produkts selbst erkennen. Und dann nutzen wir den WOW-Effekt, den die Nutzung der Erweiterung erzeugt, und lassen die Leute mit ihren Freunden und allen anderen darüber sprechen. 

CCB Magazin:Und wie verdient Faircado eigentlich Geld? Durch Werbung?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Wir wollten keine Werbung auf der Plattform haben. Das ist normalerweise sehr lästig. Wir generieren Einnahmen, wenn ein Nutzer etwas kauft, dann zahlen unsere Partner eine kleine Gebühr an uns. Ganz einfach. Für den Nutzer ist es völlig kostenlos, und die Preise der Produkte, die wir präsentieren, sind die gleichen wie auf den Websites unserer Partner.

CCB Magazin:Letzte Frage: Wo siehst du Faircado in der nahen Zukunft?

Evoléna de Wilde d'Estmael:Allein in Deutschland gibt es rund 70 Plattformen, die Second-Hand-Artikel anbieten. Als Kunde kann man nicht alle diese Plattformen durchstöbern, es braucht eine Art intelligenten Filter, um die besten, vielversprechendsten Ergebnisse zu erhalten. Faircado schafft diese Möglichkeit, um Zeit, Geld - und CO2 zu sparen. Unser Ziel ist es, bis 2030 den Gebrauchtwarenkauf zur ersten Wahl der Kunden zu machen. Wir machen die Second-Hand-Branche, den Re-Commerce, größer als den E-Commerce.

Rubrik: Innovation & Vision

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