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Simon Graff: „Das Metaverse beschreibt eine Vision, kein Produkt“

Simon Graff: „Das Metaverse beschreibt eine Vision, kein Produkt“
Foto: © Privat

Etablierte Wirklichkeit oder Hype? Das Metaverse ist in aller Munde. Aber was wird eigentlich darunter verstanden, und vor allem: Wie können es Kreativschaffende für sich nutzen? Simon Graff hat mit FOR REAL?! ein Metaverse-Beratungsunternehmen gegründet und kommt aus der Digitalszene. Im Gespräch mit uns erklärt er, was es damit auf sich hat – im Heute und in Zukunft.  
 

INTERVIEW  Boris Messing

 

CCB Magazin:Hallo Simon. Du bist Extended Reality Specialist mit Fokus auf dem Metaverse. Stell dich doch mal vor bitte: Wie kamst du zu dem, was du heute machst? Worin liegt deine Expertise? 

Simon Graff:Dazu kam ich gewissermaßen wie die Jungfrau zum Kinde: Ich habe Medien- und Kommunikationswissenschaften in Hamburg studiert und mich sehr für Immersion interessiert. Insbesondere habe ich in meiner Abschlussarbeit untersucht, wie sich Präsenzerleben in Virtual Reality auswirkt. Das war 2014 noch eine ziemlich neue Sache. So neu, dass ich immer mehr Anfragen von Unternehmen bekam, wie denn diese VR-Technologie nun genau funktioniere. Ein paar Monate später hatte ich dann Jobangebote, Speaker-Gigs und entschied mich dafür, meinen parallel begonnenen Master abzubrechen.   

CCB Magazin:Du bist da also reingerutscht.

Simon Graff:Das kann man so sagen. Aus meiner Leidenschaft für immersive Technologien wurde ich Berater für VR-, AR- und anderer digitaler Tools. Ich habe aber auch selbst Prototypen immersiver 3D-Welten gebaut und mache das auch noch heute, wenn ich die Zeit dazu habe.

CCB Magazin:Mit FOR REAL?! hast du 2021 dein eigenes Metaverse-Beratungsunternehmen gegründet. An wen richtet sich die Beratung hauptsächlich? 

Simon Graff:Sehr unterschiedlich. Primär Unternehmen. Von deutscher Industrie bis Beauty-Unternehmen ist alles dabei. Wer auch immer bei mir anklopft. Auch Kreativagenturen und Netzwerke gehören dazu, mit denen ich in permanentem Dialog bezüglich immersiver Technologien bin. Gerade Kreativagenturen haben einen hohen Innovationsdruck gegenüber ihren Kund*innen.

CCB Magazin:Mal ganz allgemein gefragt: Wo stehen wir derzeit in Sachen Metaverse – ist es mehr ein Hype oder etablierte Wirklichkeit? 

Simon Graff:Das Metaverse beschreibt in erster Linie eine Vision und kein konkretes Produkt. Es geht im erweiterten Sinne um das Internet zum Reingehen. Jetzt ist die Frage, was lässt man bereits als Metaverse durchgehen? Braucht es dazu VR-Brillen oder keine? Wie immersiv muss diese Welt sein? Das hängt von der jeweiligen Perspektive ab. Reicht beispielsweise eine 3D-Welt am Bildschirm? Meiner Meinung nach: ja. Andere sind da deutlich dogmatischer, für die gehören unbedingt VR-Brillen dazu. Sicher ist, die große Vision eines begehbaren Internets, das im Alltag eine zentrale Rolle spielt, ist noch keine Realität - weder von der Softwareseite noch von der Hardwareseite. 

Das Metaverse beschreibt in erster Linie eine Vision und kein konkretes Produkt; es geht im erweiterten Sinne um das Internet zum Reingehen. Sicher ist, dass diese Vision heute im Alltag noch keine zentrale Rolle spielt

CCB Magazin:Wo du es gerade ansprichst: Laut einem Bericht des Handelsblatts erwarten Experten wegen der immensen Rechenleistung ein vollständig entwickeltes Metaversum erst in zwanzig Jahren. Sollten wir dieses Gespräch dann nicht ein andermal führen? 

Simon Graff:Vielleicht. Technologische Hype-Wellen gibt es immer wieder. In den vergangenen zehn Jahren, in denen ich mich jetzt damit befasse, kam es oft zu solchen Hypes, die dann wieder abgeebbt waren. VR, AR, Künstliche Intelligenz, Blockchain, NFTs usw. Das ist ein Stück weit einem künstlich erzeugten Innovationsdruck geschuldet, der von den Medien angeheizt wird. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass das begehbare, immersive Internet kommen wird. Mark Zuckerberg ist wohl einer der bekanntesten Metaverse-Visionäre, die gerade viel Geld in diese Entwicklung stecken. Er ist zwar der Lauteste, aber nicht allein mit Ansätzen in diese Richtung. Schon heute haben wir viele Bausteine für die Vision, aber noch kein Metaverse an sich.

CCB Magazin:Gib doch bitte mal ein Beispiel: Wie können Kreativschaffende schon jetzt das Metaverse für sich nutzen?

Simon Graff:Basale 3D-Mensch-Computer-Interaktionen sind ja schon vorhanden. Die Spieleplattform Roblox wäre ein Beispiel, Fortnite wird oft genannt. Es gibt bereits einige digitale Proto-Metaverse, die nur mit unterschiedlichen Namen benannt werden. Virtual Reality, Augmented Reality, Mixed Reality, Omniverse, im Kern geht es dabei ja immer um spatial computing, also eine Form der erweiterten Realität. Kreativschaffende können in diesem Sinne das Metaverse für sich nutzen, um sich besser zu vermarkten oder ihre Kunst oder was auch immer zu verkaufen. So wie man heute nach dem Baukastenprinzip eine Homepage baut, so kann man sich heute auch schon sein eigenes Metaverse zusammenbauen. Es gibt viele 3D-Creation-Tools, die für jeden nutzbar sind: von Blender über Spline3D zur Unreal Engine, Unity Engine usw. Alles legal und kostenfrei verfügbar. Kreative können mit diesen Tools ihre Reichweite skalieren.

Simon Graff posierend mit seinen Avatars. Foto: © Privat

CCB Magazin:Der Großteil der Kreativschaffenden kommt aber nicht aus der Digitalszene. Was empfiehlst du als Herangehensweise an diese neuen 3D-Technologien? 

Simon Graff:Das Tolle ist doch, dass man sich heute an diesen Technologien einfach ausprobieren kann, ganz spielerisch. Wir leben in einer Zeit der großen Demokratisierung von frei verfügbarer Technologie. Ich empfehle, es einfach mal auszuprobieren. Dafür braucht man etwas Zeit und Geduld. Das ist keine Raketenwissenschaft und Angst davor muss man auch nicht haben.

CCB Magazin:Was ist deiner Ansicht nach bisher der größte Nutzen des Metaverse?

Simon Graff:Was ich bei Konzernen und großen Unternehmen gar nicht mehr erwähnen muss, weil es allen klar ist, sind die erweiterten Möglichkeiten des virtuellen Lernens und der Kollaboration. Dinge, für die man sonst in Person anwesend sein musste, können im Metaverse erlernt oder geteilt werden. Das gilt für sämtliche Arbeitsprozesse, und das lässt sich auch auf Kultureinrichtungen und Kreativschaffende übertragen. Die Pandemie hat dieser Art der Kommunikation natürlich einen Boost gegeben. Digitale Kommunikation in einem 3D-Space oder Virtual Training sind schon gang und gäbe bei vielen Unternehmen. Zumal es Kosten spart.

Ein Metaverse zu bauen ist keine Raketenwissenchaft, die Tools dafür sind alle kostenfrei verfügbar. Wir leben in einer Zeit der großen Demokratisierung von frei verfügbarer Technologie

CCB Magazin:Wie sieht es, sagen wir, mit dem Menschlichen aus bei dieser Art der Kollaboration – geht da nicht etwas verloren? 

Simon Graff:Die gefühlte Nähe, die wir im Metaverse empfinden können, ist deutlich intensiver, als beispielsweise über Zoom. Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht darum geht, die Realität und das Mensch sein zu ersetzen, sondern andere digitale Kommunikationsmittel zu nutzen. Immersion, Präsenzerleben, sich mittels dieser Technologien gemeinsam an einem Ort zu fühlen ist - da steckt extrem viel Potential drin. Das ist auch der Grund, weshalb Mark Zuckerberg und andere in diese Vision investieren. 

CCB Magazin:Apropos: Bis 2030 soll laut Schätzungen das Marktpotential des Metaverse rund 800 Milliarden Dollar umfassen. Bleibt davon überhaupt etwas in der Kreativ- und Kulturbranche hängen oder greifen Gigafirmen wie Meta oder Microsoft am Ende alles ab? 

Simon Graff:Alles nicht, aber sie werden weiterhin eine große Rolle spielen. Als einzelner Kreativer kann ich tolle digitale Tools entwickeln, aber dann, so ist das oft der Fall, wird ein großes Unternehmen wie Meta auf mich aufmerksam und wirbt mich ab oder kauft mein Unternehmen. Viele spannende Technologien nehmen zuerst dezentrale, unübersichtliche Wege und verschlanken sich dann zu wenigen großen Playern, die das Feld dominieren. Für den Nutzer macht das ja auch Sinn. Es vereinfacht die Anwendung dieser Technologien, es vereinfacht den Konsum. Die meisten kreativen Menschen wollen keine eigene Homepage programmieren und sind froh, wenn sie es nach dem Baukastenprinzip machen können oder jemanden dafür bezahlen. Das gleiche gilt für die Kreierung eines Metaverse für meine Zwecke. Die Frage ist nicht nur, was machen neue Medien mit uns, sondern auch was machen Menschen mit den Medien. Das ist immer eine Wechselbeziehung. Die Menschen begrüßen meistens eine Vereinfachung von Technologien. Das ist auch ein Grund, weshalb sich nur einige große Player durchsetzen. Weil sie dieses Spiel verstanden haben. 

CCB Magazin:Zum Schluss: Wie wird sich das Metaverse deiner Meinung nach weiterentwickeln?

Simon Graff:Das begehbare Internet wird kommen, das Interesse daran nimmt zu. Die Frage ist nur: macht das auch für jeden Sinn. Wie bei allen Medien werden verschiedene Modelle gleichzeitig parallel laufen. Es wird das alte, heute genutzte, zweidimensionale Internet geben und gleichzeitig wird es virtuelle 3D-Spaces geben, die neue Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten bereithalten. 

Rubrik: Innovation & Vision

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