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Wie läufts denn so im Kreis?

Wie läufts denn so im Kreis?
Foto: © William Veder

Wie kreislauffähig ist die Kultur- und Kreativwirtschaft? Zu dieser Leitfrage fand am 7. November im Amplifier Berlin der Kongress „Zirkulär in die Zukunft“ vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes statt – wir waren als Medienpartner vor Ort und blicken zurück: Welche Rolle kommt der Kultur- und Kreativwirtschaft zu?
 

VON Jens Thomas    

 

Ohm, Coulomb, Hertz, Ampere – die Namen der Räume erinnern noch an das alte AEG-Werk, das einst zu den Industrieperlen Berlins gehörte und Mitte der 1980er seine Tore schloss. Damals wurde hier im großem Stil Elektrotechnik hergestellt, heute findet hier ein Kongress zum Thema Kreislaufwirtschaft statt – „Zirkulär in die Zukunft“, so der Titel. Organisiert wird das Ganze vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Der Ort: das Amplifier Berlin. Rund 200 Gäste sind an diesem Tag gekommen, die einen mit Wissen ausgestattet, die anderen mit Fragezeichen über den Köpfen – im Publikum sitzen Kulturschaffende, Wissenschaftler*innen, zudem Stellvertreter*innen aus Politik und Wirtschaft. An Personal mangelt es schon mal nicht. 

Los geht’s um 12 Uhr mit einem verheißungsvollen Panel: „Wie lassen sich nachhaltige Innovationen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft skalieren“?, so die Leitfrage. Auf dem Podium sitzen Michael Kellner, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Sprecher der Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bund, dazu Nora Sophie Griefhahn vom Cradle to Cradle Verband, Michelle Reed vom nachhaltigen Verpackungsdienst sendmepack und Dr. Bettina Hoffmann, die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Schnell werden die Probleme deutlich: Die Wirtschaft ist noch immer zu linear ausgerichtet. Nur 8,6 Prozent der Welt ist bislang „zirkulär“, so das Ergebnis des Circular Gap Report 2020 – und das heißt, dass noch immer zu wenige Produkte in Kreisläufen gehalten werden, um sie entweder biologisch wiederzuverwerten oder technisch so zu zerlegen, dass sie wiederverwendbar sind. „Wir müssen endlich anfangen, sämtliche Produkte in Kreisläufen zu führen“, fordert Griefhahn vom C2C-Verband wie aus der Pistole geschossen. Sie versucht mit ihrem Verband Prozesse der Kreislauffähigkeit in allen Bereichen nach vorne zu bringen. Nicht ohne Grund: Zwar ist der Recyclinganteil in Deutschland mittlerweile recht hoch, bei Verpackungen liegt er sogar bei 90 Prozent. Bei Kunststoffverpackungen sind es dagegen nur elf Prozent. Zudem ist der Rohstoffverbrauch weltweit zwischen 1970 und 2017 von 27 Milliarden Tonnen auf 91 Milliarden gestiegen – und hat sich damit mehr als verdreifacht, dabei stammen nur zwölf Prozent der Rohstoffe bislang aus dem Recycling. Zudem wird der Konsum aller Voraussicht nach bis 2060 weiter weltweit auf 167 Milliarden Tonnen steigen. 

Wir müssen anfangen, sämtliche Produkte in Kreisläufen zu führen - Nora Sophie Griefhahn vom Verband Cradle to Cradle

Nora Sophie Griefhahn vom Verband Cradle to Cradle im Gespräch mit Michael Kellner, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Sprecher der Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bund. Foto © William Veder

Was kann die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Verbesserung der Lage tun? Michael Kellner sieht einen ersten Schritt in die richtige Richtung in der Beschaffung. „Wir müssen im Vergaberecht stärker ökologische und soziale Fragen berücksichtigen“, so seine Forderung. Noch immer sei sie in den Kulturbetrieben auf die wirtschaftlich rentabelste Dimension, also auf das billigste Angebot, ausgerichtet – und nicht auf das ökologischste. So werden allein in Deutschland zur Beschaffung von öffentlichen Waren und Dienstleistungen jährlich 500 Milliarden Euro aufgebracht – in der gesamtem EU wird bei 60 Prozent der Ausschreibungen der niedrigste Preis als Zuschlagkriterium veranschlagt. Zudem fehlt es oft an Wissen, was eine ökologische oder kreislauffähige Alternative sein könnte – und an Zeit, sich damit zu befassen. 

Bei Michelle Reed ist das alles anders. Sie ist an diesem Tag das Best-Practice-Beispiel auf dem Podium. Reed entwickelt mit ihrem Unternehmen sendmepack Versandkartons aus existierenden Materialen, die wenig Platz wegnehmen – Precycling nennt sie die Methode. Denn Paket-, Express- und Kuriersendungen haben in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Im Jahr 2021 wurden 4,51 Milliarden Sendungen verschickt – gegenüber 2011 ist das ein Zuwachs von rund 83 Prozent. Sendmepack kauft darum gezielt Kartonnagen auf, um Abfall zu vermeiden und um sie anschließend wiederzuverkaufen. „Uns haben die Leute am Anfang die Bude eingerannt“, sagt die Gründerin. Rund 400 Online-Shops beliefere man bereits. Nur die großen seien noch nicht dabei, die brauche man aber, da 80 Prozent des Versandvolumens in Deutschland im Bereich E-Commerce von den Top 10, also den umsatzstärksten Online-Shops, generiert würden. Wie man als Startup aber über kurz oder lang mit den großen mithalten könne, das sei schwierig. Derzeit sei man von Risikokapitalgebern abhängig. Langfristig wäre das aber kein Ziel.

Wir müssen im Vergaberecht stärker ökologische und soziale Fragen berücksichtigen - Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Sprecher der Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bund

Oben: Michael Kellner, Sprecher der Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bund. Unten: Die Kongress-Teilnhemer*innen. Fotos © William Veder

An dieser Stelle werden auch die Probleme deutlich, die sich für Kreativschaffende und im Feld der Kreislaufwirtschaft auftun – und die auf dem Kongress nur bedingt zur Sprache kommen. Denn gute Ideen haben viele, wie kann man davon aber ausreichend leben? So gibt es zwar mittlerweile Fördertöpfe wie Fonds Zero, worüber die Kulturstiftung des Bundes bis 2027 acht Millionen Euro zur Verfügung stellt, dann wird es luftig am Himmel der Möglichkeiten. Zudem stößt die Kreislaufwirtschaft an Grenzen. Denn zum Funktionieren bräuchte es die Umstellung der gesamten Wirtschaft samt Wertschöpfungsketten von Design-, Produktions- und Konsumphasen bis hin zur Kreislaufschließung – was derzeit nur schwer vorstellbar ist. Auch ließe sich die sogenannte CMU-Quote, der Anteil recycelter Materialien an den eingesetzten Rohstoffen, von derzeit 12 Prozent auf maximal 22 Prozent anheben, da Materialien wie Kohle, Erdgas und Biomasse nicht recycelbar sind und beim Recycling Reststoffe zurückbleiben, die entsorgt werden müssen – die sich dann aber oft nur in minderwertigeren Produkten einsetzen lassen (Downcycling). Ohnehin sind viele der Recyclingprozesse energieintensiv, und für die Kreativschaffenden gilt: Die Felder, in denen sie sich behaupten können, sind begrenzt. So dominieren in der Kreislaufwirtschaft seit Jahren die Bereiche Technik, Sammlung, Transport und Straßenreinigung, Abfallbehandlung und -verwertung sowie der Großhandel mit Altmaterialien – kaum verwunderlich, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft bei der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, die von der Bundesregierung seit geraumer Zeit erarbeitet wird, kaum eine Rolle spielt. Denn es sind vorranig die Bereiche Produkt- und Modedesign, zudem die Architektur und Veranstaltungswirtschaft, über die in der Kultur- und Kreativwirtschaft tragfähige Konzepte entwickelt werden. Das wars dann aber auch schon. Und ist es ein offenes Geheimnis, dass gerade viele Designlabels, die kreislauffähige Produkte herstellen, von einem nachhaltigen Höschen oder einer kompostierbaren Kollektion kaum leben könne. Nun kommt auch noch die Baukrise dazu – Aufträge werden im Bereich der Architektur gerade reihenweise abgesagt

Dass es an großen Visionen aber nicht mangelt, das wird ebenfalls auf dem Kongress deutlich. Nora Sophie Griefhahn vom C2C-Verband zum Beispiel hat das Projekt Labor Tempelhof in Zusammenarbeit mit den Ärzten und Toten Hosen mit auf den Weg gebracht – darüber wurden drei Konzerte organisiert, um möglichst alle Materialien in biologische und technische Kreisläufe zurückzuführen. Im Ergebnis stand zwar, dass eine 100-prozentige Wiederverwertbarkeit nicht gewährleistet werden könne, da manche Kreisläufe am Ende der Nutzungsphase nicht komplett geschlossen werden können. Über das Projekt ließen sich dennoch 80 Prozent der Nährstoffe aus den Toiletten in Kreisläufe zurückführen und 50 Prozent des Wasserverbrauchs einsparen. Zweites Beispiel: Natascha von Hirschhausen. Die Berliner Modemacherin hat eine abfallfreie Schnitttechnik entwickelt und verwendet für ihre Kollektionen ausschließlich fair gehandelte sowie organische Stoffe. Denn die Modeindustrie ist für bis zu zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Weltweit werden weniger als ein Prozent der Textilien recycelt – 80 Prozent werden verbrannt oder deponiert. Genau darum braucht es wiederum Wissenstransfers und Vermittler*innen, so wie Griefhahn oder von Hirschhausen – oder Personen wie Laura Scherer, die an diesem Tage ebenfalls vor Ort ist. Scherer interviewt über ihren Podcast Circu: Culture Akteure der Kreislaufwirtschaft und vertieft Fachthemen. An anderen Stellen stehen Forschungsinstitute wie Prognos mit einem Stand und klären mit Infomaterialien auf. Und um Vertiefung geht es auch in den Workshops, drei sind es an diesem Tag an der Zahl: Im ersten „Pitch Your Green Idea“ wird das Thema Nachhaltigkeit über ein Brett-Planspiel den Teilnehmenden nähergebracht, im zweiten zur „Suffizienzstrategie“ wird sich im Verzicht geübt – im dritten „Co-creating the circular transition“ dreht sich alles um die Frage, was die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft von morgen beitragen kann. Genau hier stößt man wiederum an Grenzen, da es bis heute weder eine Zahl dazu gibt, wie hoch der Anteil der Kreativschaffenden an der Kreislaufwirtschaft ist oder künftig sein kann, noch werden die Grenzen ausreichend diskutiert, wozu die Kreativwirtschaft überhaupt imstande ist.

Fotos © William Veder

Grenzen aufbrechen, alles mal neu denken – und schön in Kreisläufen bleiben, darum ging es auf dem Kongress zur Kreislauffähigkeit in den Kreativsektoren. Alles in allem war der Kongress ein Anfang zu einer Debatte und kein Ende. In einer Kreislaufwirtschaft, die in Deutschland schon jetzt rund 310.000 Erwerbstätige beschäftigt und die im letzten Jahrzehnt um rund 18 Prozent gewachsen ist, werden in Zukunft sicher neue Betätigungsfelder entstehen, von denen auch die Kreativschaffenden profitieren können. Die Frage aber, ob Kreative eine Lobby haben, um sich gegen all die Konkurrenz durchzusetzen, die sich derzeit mit kreislauffähigen Produkten auf den Weg macht, bleibt an diesem Tage genauso offen wie die Frage, ob die Kreislaufwirtschaft auf rein ökologische Kreisläufe beschränkt bleiben soll – dann bleibt zum Schluss alles schön im Kreis, wenn es sich um ökologische Fragen dreht. Ob man davon aber ausreichend leben kann, steht auf einem anderen Blatt – das dann wiederum vermutlich kompostierbar ist und zumindest der Umwelt keinen Schaden anrichtet. 
 


 

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Rubrik: Innovation & Vision

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