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Denise Grduszak: "Wir müssen Arbeitskräfte für die Medienberufe zurückgewinnen"

Denise Grduszak: "Wir müssen Arbeitskräfte für die Medienberufe zurückgewinnen"
Foto: © Vivienne Hettig

In Deutschland herrscht ein Fachkräftemangel. Bis zu 2,5 Millionen Stellen bleiben unbesetzt. Aber gilt das auch für die Kreativbranchen, und wenn ja für welche? Darüber sprachen wir mit Denise Grduszak vom Erich Pommer Institut, die in diesem Jahr auf dem People & Culture Festival die Ergebnisse zwei von ihr geleiteten Studien vorgestellt hat. 
 

InterviewJens THOMAS

 

CCB Magazin:Fehlendes Personal, Abwanderungen in andere Branchen, weniger Bewerbungen – Deutschland ist vom Fachkräftemangel erfasst. Gilt das auch für die Kreativbranchen?

Denise Grduszak:Ich kann nicht für die gesamte Kreativbranche sprechen, sondern mich nur auf die Medienbranche beziehen, für die uns belastbare Zahlen vorliegen. Dort gilt es auf jeden Fall: Viele Unternehmen finden kein passendes Personal mehr – entweder, weil sich keiner bewirbt oder weil die Kompetenzen oder Qualifikationen der Bewerber*innen nicht ausreichen. Und dann haben wir noch den demografischen Wandel vor der Tür, wodurch in den nächsten fünf bis 15 Jahren rund 30 Prozent der jetzt Beschäftigten in den Ruhestand gehen und deutlich weniger nachkommen. Obendrauf kommt noch, dass die Medienbranche mittlerweile auch mit anderen Branchen konkurriert. 

CCB Magazin:Inwiefern? 

Denise Grduszak:Die Medienbranche erscheint nicht mehr so attraktiv wie vor Jahren. Vor einem Jahrzehnt wollten noch ganz viele Menschen „irgendwas mit Medien machen“. Das hat sich mittlerweile ausgedünnt. Auch in den Kreativsektoren kommt es zum „War of talents“. Der Kampf um gut qualifizierte Arbeitskräfte ist groß. 

Viele Unternehmen finden kein passendes Personal mehr – entweder, weil sich keiner bewirbt oder weil die Kompetenzen oder Qualifikationen der Bewerber*innen nicht ausreichen

CCB Magazin:Du betreust als Projektmanagerin den Weiterbildungsverbund Media Collective bei der Erich Pommer Institut gGmbH und koordinierst seit einiger Zeit einen bundesweiten Arbeitskreis zum Thema Fachkräfte-Strategie Film & TV. Ihr habt 2022 eine Studie zum Fachkräftemangel in Bewegtbildproduktionen veröffentlicht und vor kurzem eine weitere Erhebung zur Beschäftigungssituation in 2023 durchgeführt. Wie lauten die Ergebnisse? 

Denise Grduszak:In der ersten Studie aus dem Jahr 2022 sind wir im Bereich Filmproduktion zu dem Schluss gekommen, dass 75 Prozent der Unternehmen und 71 Prozent der Filmschaffenden einen spürbaren Fachkräftemangel merken. Das führt zugleich zu einem erhöhten Arbeitsdruck und psychischen Belastungen in den Unternehmen, was die Umsetzung und Qualität der Produktionen oft gefährdet – 88 Prozent der befragten Unternehmen vermeldeten einen solchen erhöhten Arbeitsdruck beim Personal, 48 Prozent meldeten höhere Kosten und 47 Prozent nannten Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Qualitätsstandards. Und die von den Unternehmen angeführten Besetzungsschwierigkeiten bezogen sich im Jahr 2022 auf nahezu alle Positionen einer Produktion, angeführt von Filmgeschäftsführung und Aufnahmeleitung. Die Ergebnisse der zweiten bislang noch unveröffentlichten Studie aus 2023 zeigen, dass zum einen die Produktionen zurückgegangen sind, was in großen Teilen noch „normale“ Schwankungen, aber auch Veränderungen des Marktes zurückzuführen ist. Zum anderen gibt es immer weniger Nachwuchs in der Medienfilmbranche: In Berlin sind das nur noch rund zehn bis 15 Prozent der jungen Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren, die den Unterbau der Branche bilden. 

CCB Magazin:Was sind die Gründe dafür? Sind die Kreativen Branchen einfach nicht mehr so attraktiv? 

Denise Grduszak:Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen sind die Kreativfelder schon seit langem von hohen Unsicherheiten geprägt, also von unsicheren Einkommensverhältnissen und unregelmäßigen Arbeitszeiten, das wollen sich viele einfach nicht mehr antun. Nicht umsonst kommt eine Studie von Prognos zum Fachkräftemangel in den Kreativsektoren zu dem Ergebnis, dass es zur Abwanderung in die „sicheren“ Berufe kommt, und dieser Effekt ist bei Soloselbstständigen besonders deutlich ausgeprägt – auch ist ein spürbarer Einbruch am Ausbildungsmarkt zu erkennen, der die Entwicklung der Ausbildungsstellen der Kultur- und Kreativwirtschaft stark zurückgeworfen hat. Zum anderen ist der Hype der 1990er Jahre um all die kreativen Berufe verflacht, die kreativen Berufe sind an vielen Stellen sicher einfach nicht mehr so attraktiv, nur weil sie kreativ sind – heute zählen andere Dinge wie Nachhaltigkeit, Diversität und vieles mehr. Hinzu kommt noch, dass, wie oben erwähnt, viele Bewerber*innen einfach nicht geeignet sind. Da bewerben sich oft Menschen, ohne sich zu vergewissern, ob es überhaupt passt. So zeigte auch unsere erste Studie, dass als Ursache für die Schwierigkeit bei der Besetzung von freien Stellen von 60 Prozent der Unternehmen zwar „zu wenige Bewerbungen“ genannt wurde. 85 Prozent der Bewerber*innen sind aber gänzlich ungeeignet. Dabei fehlt der Hälfte der Bewerber*innen vor allem das technische Wissen in Bezug auf Film und Fernsehen, ebenso wie zu Arbeitsorganisation und Planungskompetenz. Dazu kommen fehlende Budgetierungs- und Finanzierungskenntnisse sowie fehlende Kommunikationskompetenz. 

Die kreativen Berufe sind an vielen Stellen nicht mehr so attraktiv, nur weil sie kreativ sind – heute zählen andere Dinge wie Nachhaltigkeit, Diversität und vieles mehr

CCB Magazin:Laut der Prognos-Studie zeigt sich der Fachkräftemangel in der Kreativwirtschaft heute vor allem in den Bereichen Informatik, der Architektur, im Modellbau, in der Innenarchitektur, Raumausstattung, im visuellen Marketing sowie im Buch-, Kunst-, Antiquitäten- und Musikfachhandel. Wie bekommt man die Probleme in den Griff? Was wären Lösungen?

Denise Grduszak:Ich kann jetzt nur für die von uns untersuchten Bereiche sprechen, und hier zeigt sich, dass wir gezielte Einstiegs- und Förderprogramme brauchen. Erste erfolgreiche Programme gibt es bereits in Hamburg, Hessen, NRW und Bayern. Im Frühjahr startet auch ein Programm für Berlin und Brandenburg. Die Media Academy Berlin-Brandenburg fördert zudem den Quereinstieg in die Medienbranche und verbindet Praxiserfahrungen mit gezielten Qualifizierungsangeboten. Außerdem sollen die Unternehmen bei der Fachkräftesicherung unterstützt werden. Sie müssen wieder attraktiver werden. Es reicht heute nicht mehr aus, einen Obstkorb auf dem Tisch im Besprechungsraum zu platzieren, um die Mitarbeiter*innen zufrieden zu stellen. Was wir brauchen, sind neue Arbeitszeitmodelle, entfristete Verträge und vor allem familienfreundliche Modelle. Das gilt gerade für die Filmbranche, und hier müssen die Unternehmen selbst Änderungen vornehmen, ihre Mitarbeiter*innen mehr qualifizieren und sie auch finanziell unterstützen. Voraussetzung dafür und für gute Rahmenbedingungen der Arbeit sind aber in erster Linie auskömmliche Produktionsbudgets. Weiterhin müssen die Weiterbildungsanbieter neue Qualifizierungsangebote schaffen, denn die gibt es für die zu besetzenden Stellen in den Unternehmen noch viel zu wenig, das gilt auch für die Ausbildungen: Nur 29 Prozent der befragten Unternehmen in unserer Studie bieten überhaupt Ausbildungsplätze an. 

CCB Magazin:Kann die gezielte Zuwanderung von Fachkräften eine Lösung sein? Im Mai 2023 waren in Deutschland knapp 767.000 offene Stellen gemeldet. Um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, braucht es laut Experten rund 400.000 Zuwanderer. 

Denise Grduszak:Die gezielte Zuwanderung kann eine Teillösung sein, wir müssen aber vor allem auch die hiesigen Arbeitskräfte für die Medienberufe zurückgewinnen – darum müssen die Medienberufe auch attraktiver werden. Gefragt sind dabei alle: Die Politik, die Unternehmen, aber auch die Bewerber*innen selbst, die sich vergewissern sollten, ob der entsprechende Beruf überhaupt für sie passt.

Bewerber*innen sollten sich mehr vergewissern, ob der entsprechende Beruf für sie passt

CCB Magazin:Berlin haftete lange Zeit das Image „arm aber sexy“ an, womit die Unterbezahlung ganzer Berufsfelder in der Kultur- und Kreativwirtschaft verbunden war. Wenn nun eine ganze Generation neue Ansprüche an die Arbeit stellt und auch mehr Geld fordert, sind das am Ende nicht gute Zeichen? Treten wir in eine neue Epoche ein, wo man endlich für die Art der Arbeit ausreichend bezahlt wird, die man mag? 

Denise Grduszak:Auf der einen Seite ja. Auf der anderen Seite haben wir eine hohe Inflation und steigende Mieten – die Unzumutbarkeiten haben sich so gesehen nur verlagert. Man kann sich dann vielleicht mehr Jobs auf dem Arbeitsmarkt aussuchen, findet aber keine Wohnung mehr. 

CCB Magazin:Welche Rolle spielt KI? In den Kulturberufen könnten ganze Zweige wegfallen oder sich so verändern, dass es die ursprünglichen Jobs nicht mehr gibt. Wenn es zu viele offene Stellen gibt, können das dann nicht einfach die Roboter machen? 

Denise Grduszak:So weit wird es sicher nicht kommen. Gerade im Medienbereich und vor allem am Filmset wird es weiterhin Menschen brauchen, die die Arbeiten erledigen. Gewiss verändert die KI die Arbeitswelt, dabei sind dann aber vor allem Menschen mit Kompetenzen gefragt, um mit der KI umzugehen.  

CCB Magazin:In den USA sind in diesem Jahr mehr als 11.000 Drehbuchautor*innen in den Streik getreten, um für Gehaltserhöhungen, bessere Arbeitsbedingungen und eine Neuregelung zum Einsatz von KI zu demonstrieren. Schon jetzt lassen sich Schauspieler wie Harrison Ford über eine KI verjüngen.

Denise Grduszak:Ja, aber die KI kann den Menschen auch in Zukunft nicht ersetzen, schon gar nicht am Set. Und um auf den Fachkräftemangel zurückzukommen: Die Lücken können wir darüber auch nicht schließen. Zur Behebung brauchen wir das ganze oben genannte Set. Nicht mehr und nicht weniger. 
 

Rubrik: Wissen & Analyse

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