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Cilgia Gadola: "Das kann viele überfordern"

Cilgia Gadola: "Das kann viele überfordern"
Foto: © Jörg Metzner

Wie ist es um die soziale Absicherung und Altersvorsorge in den darstellenden Künsten bestellt? Dieser Frage ging das Forschungsprojekt „Systemcheck“ des Bundesverbands Freie Darstellende Künste in Kooperation mit dem ensemble-netzwerk, dem Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft und dem Institute for Cultural Governance Berlin nach. Über die Ergebnisse sprachen wir mit Cilgia Gadola, Leiterin des Projekts beim Bundesverband Freie Darstellende Künste. 

 

INTERVIEW Jens THOMAS

 

CCB Magazin: Frau Gadola, Sie haben im Rahmen des Forschungsprojekts „Systemcheck“ die soziale Absicherung von Solo-Selbstständigen und Hybriderwerbstätigen in den darstellenden Künsten untersucht. Welche zentralen Erkenntnisse konnten Sie gewinnen? 

Cilgia Gadola:Die Forschungsergebnisse liefern verlässliche Daten dazu, dass die Einkommen in den darstellenden Künsten im Durchschnitt zu niedrig sind und eine soziale Absicherung oft nicht ausreichend möglich ist. Im Jahr 2021 betrug das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen beispielsweise 20.500 Euro, obwohl in diesem Jahr durch das Programm NEUSTART KULTUR mehr als sonst gefördert wurde. Für unser Projekt haben wir insgesamt 900 Personen befragt. Diese kommen im Erwerbsverlauf ab dem 18. Lebensjahr auf durchschnittlich 12.000 Euro brutto jährlich. 

Unsere Befragten kommen auf durchschnittlich 12.000 Euro brutto jährlich. Und die Situation ist für Frauen besonders dramatisch

CCB Magazin:Ein Schwerpunkt lag auf dem Gender Pay Gap und der Altersabsicherung. Was konnten Sie dazu herausfinden? 

Cilgia Gadola:Der Gender Pay Gap liegt bei fast 30 Prozent – die Situation ist für Frauen in den darstellenden Künsten also noch dramatischer. Das gilt auch für Schwangere und Eltern bzw. Erziehungsberechtigte. So erzielen Selbstständige während der Schwangerschaft und Elternzeit häufig eine geringere Leistung, was an den geringen Einkommen im Vorfeld und am Bemessungszeitraum zum Elterngeld liegt. Eine vergleichbare Problematik zeigt sich für Menschen, die ein oder mehrere Diskriminierungsmerkmale aufweisen: Für diese Akteur*innen gestaltet sich der Zugang zu den Sicherungssystemen und Förderprogrammen noch schwieriger. Und zur Altersabsicherung lässt sich sagen: Für die Mehrzahl wird die Altersarmut tatsächlich eintreten. Zwar versucht sich ein Teil der Solo-Selbstständigen und Hybriderwerbstätigen vielseitig abzusichern, und diejenigen, die über die Künstlersozialversicherung (KSK) versichert sind, zahlen fast ihr ganzes Erwerbsleben lang in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Sie erzielen jedoch eine viel zu geringe Leistung, was unter anderem an den Unregelmäßigkeiten in den Einkommen und den vielen unbezahlten Arbeitsphasen liegt. Darum werden in vielen Fällen die Einkommen einen direkten Einfluss auf die soziale Absicherung haben: Im Durchschnitt liegt die Rentenerwartungen bei rund 780 Euro, und auch hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen Mann und Frau – Frauen erhalten im Schnitt 674 Euro, Männer 913 Euro. 

CCB Magazin:Gerade die Corona-Pandemie hat die Einkommenssituation nochmals verschärft. Insgesamt war der Gesamtumsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2020 auf 160,4 Milliarden EUR gesunken, das sind knapp neun Prozent weniger als 2019. Am stärksten hat es die darstellenden Künste mit einem Minus von 81 Prozent getroffen. Wie hat sich die Pandemie konkret auf die Altersabsicherung ausgewirkt? 

Cilgia Gadola:Das hat die Situation abermals verschärft, weil viele ihre Rücklagen, beispielsweise fürs Alter, während der Pandemie aufbrauchen mussten.

CCB Magazin:Sie haben insgesamt vier Arbeitsformen untersucht: die Solo-Selbstständigkeit, mehrfache Solo-Selbstständigkeit, synchrone Hybriderwerbstätigkeit und die serielle Hybriderwerbstätigkeit. Können Sie diese einmal erklären? 

Cilgia Gadola:Die Solo-Selbstständigkeit zielt auf nur eine Tätigkeitsart ab, die mehrfache Solo-Selbstständigkeit verbindet hingegen verschiedene künstlerische oder künstlerische mit nichtkünstlerischen selbstständigen Tätigkeiten. Die synchrone Hybriderwerbstätigkeit wiederum kombiniert verschiedene Tätigkeitsarten, so etwa eine Teilzeitstelle mit parallellaufender Solo-Selbstständigkeit. Und in der seriellen Hybriderwerbstätigkeit wechseln sich kurzfristig abhängige oder unständige Beschäftigung ab – so beispielsweise durch Gastverträge an Stadttheatern und solo-selbstständige Tätigkeiten in den freien darstellenden Künsten.

CCB Magazin:Welche Arbeitsformen dominieren? Und welche sind besonders stark von fehlender Absicherung und steigender Altersarmut betroffen? 

Cilgia Gadola:43 Prozent der Befragten waren solo-selbständig, etwas mehr als ein Viertel mehrfach solo-selbständig, also mit verschiedenen Tätigkeiten. Ein Fünftel war hybrid erwerbstätig und nur sieben Prozent der Befragten waren im letzten Monat vor der Befragung mehrfach abhängig beschäftigt. Unsere Ergebnisse demonstrieren dazu, dass gerade viele der Solo-Selbstständigen und hybriden Erwerbstätigen im Rentenalter nicht über das Niveau der Grundsicherung hinauskommen werden, was an den vielen prekären Einkommensverhältnissen über die Jahre liegt. 

Gerade viele der Solo-Selbstständigen und hybriden Erwerbstätigen werden im Rentenalter nicht über das Niveau der Grundsicherung hinauskommen, was an den vielen prekären Einkommensverhältnissen über die Jahre liegt

CCB Magazin:Der Erwerbsstatus der Akteur*innen in den darstellen Künsten war lange Zeit stark von der Solo-Selbstständigkeit geprägt. Seit Mitte der 1990er Jahre dehnt sich das Phänomen der hybriden Erwerbstätigkeit aus. Was sind die Gründe dafür? 

Cilgia Gadola:Der Grund ist der, dass sich in den darstellenden Künsten eine zunehmende Durchlässigkeit der vorher stark getrennten Systeme „Freie Szene“ und „Stadttheater“ zeigt. Diese Entwicklung hat die Soziologin Alexandra Manske in einem Beitrag im „Systemcheck“-Themendossier „Das Schlechteste aus zwei Welten?“ näher beschrieben: Die Entwicklung ist Ausdruck von postindustriell flexibilisierten Macht- und Herrschaftsprozessen. Denn die Akteur*innen haben aufgrund der Flexibilisierung nicht wirklich die Wahl, selbstständige und abhängige Arbeitsverhältnisse miteinander zu kombinieren, wenngleich ihre Arbeit Ausdruck von Selbstverwirklichung ist – und diese selbst gewählt ist. 

CCB Magazin:Sie formulieren in der Studie auch verschiedene Handlungsempfehlungen. Wie lauten Ihre Forderungen, um die Einkommensstrukturen zu verbessern und die Altersarmut abzuwenden? 

Cilgia Gadola:Wir formulieren elf Handlungsempfehlungen, die auf sieben Kernthemen abzielen: die Einkommen müssen erhöht, die Künstlersozialkasse erweitert werden. Dann müssen wir die Altersarmut abwenden, dazu ein berufsständisches Versorgungswerk und einen Härtefallfonds einführen sowie die Erwerbslosigkeit besser absichern. Zudem braucht es eine Unfallversicherung, die in die KSK aufgenommen wird, denn diese fehlt bislang. Auch benötigen wir eine bessere Absicherung für Gebärende und Erziehungsberechtigte. Alle Handlungsempfehlungen sind im Wortlaut in der Abschlussdokumentation und im Policy Paper nachzulesen. Weitere sieben Handlungsoptionen umfassen die Themen Förderkriterien, Barriereabbau und Qualifizierung, die ebenfalls in der Abschlussdokumentation zu finden sind. 

CCB Magazin:Für Solo-Selbstständige und Hybriderwerbstätige gibt es bisher keine funktionierende Versorgungskammer für die zusätzliche Absicherung im Alter, bei Berufsunfähigkeit und im Todesfall, wie sie für Angestellte in vielen Bereichen in der Kunst und Kultur eingerichtet wurde. Was sind die Gründe dafür und was fordern Sie hier?

Cilgia Gadola:Seit ein paar Jahren können sich Selbstständige auch in der Bayerischen Versorgungskammer versichern. Unsere Forschung dazu hat aber ergeben, dass sich das bei den niedrigen Beträgen, die im Durchschnitt eingezahlt werden können, ohne eine Bezuschussung – wie es bei Angestellten funktioniert – nicht lohnt. Daher fordern wir die oben genannte Einführung eines berufsständigen Versorgungswerks für Solo-Selbstständige und hybride Erwerbstätige, die auf deren Arbeitsrealitäten ausgerichtet ist. Unsere Empfehlung hierzu lautet, diese flexibel zu gestalten und innerhalb der KSK einzuführen, damit sie auch unter die Regelungen fällt, die vorsieht, die Beiträge der Versicherten zu bezuschussen.

CCB Magazin:Eine Tendenz der letzten Jahre ist es, sich zusätzlich im Bereich der Nachhaltigkeit aufzustellen. Stellt das für viele nicht eine Überforderung dar, wenn man von der eigenen Arbeit nicht mal ausreichend leben kann? Anders gefragt: Wie bringt man die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit in Einklang, damit ökologische Anspruchshaltung und soziale Absicherung harmonieren?

Cilgia Gadola:Das kann sicherlich viele überfordern, und das ist auch ein Thema, das den BFDK schon lange beschäftigt und zu dem für 2024 ein Projekt in Planung ist. Wir glauben, dass die drei Dimensionen künftig besser zusammengedacht werden müssen und dann auch besser wirken. Ich würde an dieser Stelle noch die Komponente „öffentliche Förderung“ hinzufügen, da die Erwerbstätigen in den freien darstellenden Künsten darüber überwiegend ihr Einkommen generieren. Und hier zeigt sich, dass gerade nachhaltige Förderprogramme keine Arbeitsphasen ungefördert lassen würden und gut aufgestellte Wiederaufnahmeförderungen dafür sorgen könnten, dass Produktionen ein langes Leben haben. Heißt: Beides ist für die künstlerische Entwicklung ein wichtiger Faktor und hätte Einfluss auf eine stabilere ökonomische Situation der Akteur*innen. Und wenn Produktionen ein langes Leben haben, würden Materialien nicht nur längerfristig genutzt werden. Tourneen könnten lang im Voraus geplant werden, was tendenziell den Umsatz erhöht und eine ökologisch sinnvolle Reiseplanung möglich macht.  

Rubrik: Wissen & Analyse

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