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Auf Augenhöhe

Auf Augenhöhe
Foto: © Auf Augenhoehe

Sema Gedik hat das erste Modelabel für Kleinwüchsige in Deutschland gegründet. In unserem neuen Magazin zum Thema Nachhaltigkeit erzählt sie von den schwierigen Anfängen und ersten Erfolgen und fragt sich, warum Diversität in der Modebranche noch immer keine Rolle spielt.
 

Text Sema Gedik  

 

Ich kann mich noch genau daran erinnern, es muss vor 15 Jahren gewesen sein. Meine Cousine Funda suchte wieder einmal verzweifelt nach passender Kleidung und fand keine. Funda ist kleinwüchsig. Sie lebt in der Türkei, und sie zieht sich immer gerne schick an. Ich habe damals Modedesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) studiert, und für mich war da klar, dass sich hier etwas ändern muss. In meinem Studium drehte sich alles um Ökonomie, auch um die ökologische Nachhaltigkeit, das Thema Inklusion spielte keine Rolle. Ich habe mich dann intensiv mit Mode für Kleinwüchsige beschäftigt und herausgefunden: Ein Label für Kleinwüchsige gab es nicht. Es gab nicht mal eine Marke, die sich explizit an Kleinwüchsige richtet. 

Darum gründete ich Auf Augenhoehe, das erste Modelabel für Kleinwüchsige in Deutschland und sogar weltweit. Im Jahr 2013 fing alles an, zunächst als reines Forschungsprojekt an der HTW. Wir waren ein kleines Team und bekamen ein Stipendium – dieses Glück hat nicht jeder. So konnten wir erste Schnittkonstruktionen erstellen und Prototypen entwickeln. Man muss wissen: Es gibt weltweit mehr als 780.000 kleinwüchsige Menschen. In Deutschland sind es um die 100.000, wobei hier alle eingeschlossen sind, die eine Körpergröße bis zu 1,50 m haben. Das Problem: Es existiert weder eine Konfektionsgrößentabelle noch gibt es Vorlagen für Schnittkonstruktionen, an denen man sich orientieren kann. Darum habe ich alles selber gemacht. Ich habe Kleinwüchsige angesprochen, sie vermessen und schließlich die erste Konfektionsgrößentabelle für Kleinwüchsige erstellt. Aktuell entwickeln wir den „Fit Finder“, eine neue Software für die Größenermittlung. Orientiert habe ich mich bei alldem an der häufigsten Form der Kleinwüchsigkeit, der Achondroplasie. Hier sind die Proportionen nochmal ganz andere: Die Arme sind kürzer und anders geformt. Der Gesäßumfang ist viel kräftiger. Darum passt auch häufig gewöhnliche Kleidung nicht. Viele müssen extra zur Änderungsschneiderei, weil selbst Kindergrößen nicht passen. Mick Morris Mehnert, ein Kleinwüchsiger, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite, sagte einmal zu mir: „Ich hatte einfach keine Lust mehr, ständig Micky-Mouse-Shirts anzuprobieren.“ Einen Anzug fand er erst gar nicht, weil der Brustbereich immer zu eng war. Auf all diese Dinge habe ich bei der Kollektionserstellung geachtet. Und in meinen Gesprächen mit Kleinwüchsigen habe ich stets eine große Dankbarkeit gespürt. Denn wer macht sich schon Gedanken darüber, wie sich Kleinwüchsige kleiden?



Foto: Anna Spindelndreier

Mittlerweile ist Auf Augenhoehe auf dem Markt. Die erste Kollektion wurde 2015 während der Berlin Fashion Week vorgestellt, seit 2018 haben wir einen Onlinestore. Für Frauen gibt's Cardigans, Blusen und Strumpfhosen im Sortiment, für Männer Hemden, Chinos und Collegejacken. Alles passt! Ich frage mich nur: Warum sind wir die ersten und bislang einzigen, die so etwas machen? Es gibt zwar hier und da Kleidungsstücke für Rollstuhlfahrer oder schwangere Frauen, aber keine für Kleinwüchsige. Es gibt mittlerweile auch erste Modelabels für Menschen mit körperlichen Einschränkungen wie Mob aus Österreich oder Modedesigner wie Christa de Carouge und Julian Zigerli, die Modeschauen mit und für Models mit Behinderungen organisieren. Das Thema Kleinwuchs oder Mikrosomie bleibt aber außen vor. Und wir reden hier über eine Branche, die zum einen kleinteilig organisiert ist und in der zum anderen die großen Modeketten den Markt dominieren, das Thema Kleinwüchsigkeit aber ausklammern. Letzteres zeigen auch die „Diversity Reports“ von Fashion Spot: Diversität einschließlich älterer, Plus-Size-, Transgender-, Non-binary- und Models mit Behinderungen spielt kaum eine Rolle. Auf den Laufstegen dieser Welt liegt der Anteil von Transgender-Frauen oder Non-binary-Models meist bei unter 2 Prozent. Gleiches gilt für Plus-Size-Models – das Thema Inklusion und Behinderung kommt erst gar nicht vor. Und das, obwohl sich die Gesellschaft seit Jahren Inklusion auf die Fahnen schreibt: Seit 2009 hat Deutschland ein Inklusionsgesetz für Schulen. Im Mai 2021 wurde erstmals ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet. Es verpflichtet Unternehmen, bis 2025 barrierefreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen zu ermöglichen. Modeproduktion wird hier nicht explizit genannt. Und es gibt eine Reihe von Ausnahmen, gerade für kleinere Unternehmen.

Das zeigt: Unser Label kann nur ein erster Schritt sein. Wir nennen das Inklusionsmode. Wir wollen nicht separieren. Wir wollen, dass Mode für Menschen mit Kleinwuchs eine Selbstverständlichkeit wird. Von einem solchen Modelabel zu leben ist natürlich schwer. Die Konkurrenz ist groß, und dennoch würde ich mich freuen, wenn gerade die großen Ketten mitziehen. Das würde nicht nur die Dringlichkeit unserer Arbeit unterstreichen. Es würde klarstellen, dass Mode für Kleinwüchsige endlich in der herkömmlichen Modeindustrie angekommen ist. Wäre es nicht schön, wenn Kleinwüchsige einmal Mode von der Stange kaufen könnten? Das wäre ein Fortschritt in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft, über die derzeit alle reden. Wir haben den Anfang gemacht. Jetzt sind die anderen dran.


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