Digitalisierung & KI, Nachhaltigkeit Zurück

Tanz der Avatare

Tanz der Avatare
Foto: © INVR Space

Die Coronakrise hat über Monate den kompletten Kulturbetrieb lahmgelegt. Geflogen wurde kaum noch, trotzdem war man irgendwie anwesend – dank neuer Veranstaltungsformate, die das Analoge mit dem Digitalen verzahnen. Dem Klima kam‘s zugute. Ein Streifzug durch den neuen digital-analogen Nebelwald ohne Baumkronenschäden.
 

Text Boris Messing     undJens Thomas

 

Drinnen fiel einem die Decke auf den Kopf, draußen wütete Corona. So ging das monatelang. Seit mehr als zwei Jahren hat das Virus nun die Welt im Griff. Manche machen es sich in den eigenen vier Wänden gemütlich. Andere sind genervt von tobenden Kindern, die ein geregeltes Home-Office verhindern. Die Welt steht noch immer still und hält den Atem an, doch das Ende ist in Sicht. Und wenn es kommt: Alles back to normal? 

Ironischerweise hat die Pandemie Wege aufgezeigt, wie Menschen sich begegnen können, ohne das Klima zu ruinieren. 2020 gab es 40,8 Prozent weniger Emissionen in Deutschland im Vergleich zum Referenzjahr 1990. Das ist der größte Rückgang seit der Wiedervereinigung. Laut Bundesumweltamt ging mindestens ein Drittel der reduzierten Emissionen auf das Konto der coronabedingten Lockdowns. Der Absatz von Kerosin brach im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland sogar um 55 Prozent ein, so das Ergebnis der Forschergruppe Agora. Und was für Deutschland galt, galt für die ganze Welt: Konferenzen, Veranstaltungen, Meetings, Performances – alles online. Einige Modelle könnten sich in Zukunft tatsächlich als klimafreundliche Alternative erweisen. Digitale Veranstaltungsformate sparen Zeit, Müll, Ressourcen, und oft auch Stress. Und unkompliziert ist es auch: Hemd an, Kamm durchs Haar, und schon ist man bereit für den Zoom-Vortrag in New York.

Welche Veranstaltungen werden uns in Erinnerung bleiben? Da wäre beispielsweise das ansonsten vor Ort stattfindende South by Southwest Festival in Austin, Texas, mit 70.000 Gästen aus 90 Staaten. Im Jahr 2020 wurde es coronabedingt abgeblasen. Wir selbst waren als Speaker geladen, dann fiel alles flach. Im März 2021 war das Festival zurück, ausschließlich in virtueller Form. Zu sehen war unter anderem der Tuba-Spieler Theon Cross – als Avatar. Es war der erste 3D-Avatar-Auftritt im Musikbereich weltweit. Gestreamte Events dieser Art gab es in dieser Zeit zuhauf, aber man wurde sich schnell einig, dass reine Online-Events keine Vor-Ort-Events ersetzen können. Doch sogenannte Hybridveranstaltungen könnten künftig Schule machen. Erstens, weil sie einen breiteren Zugang ermöglichen. Die Biennale in Venedig fand in diesem Jahr beispielsweise sowohl physisch als auch über einen virtuellen Space statt, den man über VRChat betreten konnte. Filme, Talks und Panels ließen sich so als Avatar besuchen. Damit erhöhte das Filmfestival nicht nur seine Reichweite, sondern ermöglichte es vor allem Menschen daran teilzunehmen, die sich das sonst nicht hätten leisten können. Der zweite Grund ist die neue Klimaverträglichkeit bei weit entfernten Konferenzen.



Biennale in Venedig 2020 und 2021 - VR Expanded Events. Die neuen Couch-Potatoes? Fotos: INVR Space

Das dritte Event, das neben South by Southwest und der Biennale erwähnenswert ist, ist die Laval Virtual Konferenz. Zu Gast war unter anderem die Berliner Kuratorin Tina Sauerländer. Sauerländer beschäftigt sich schon lange mit VR und digitaler Kunst, im vergangenen Jahr nahm sie auf der Laval Virtual Konferenz als Avatar teil. Normalerweise findet das Festival im Norden Frankreichs statt. Basis für die VR-Konferenz war die Plattform von Virbela. Große, kommerzielle Plattformen wie Virbela, VRChat, Altspace oder Sansar waren schon einige Jahre vor der Pandemie gefragt. In Zukunft könnten sie eine noch größere Rolle spielen. Sauerländers Avatar hatte an diesen Tagen langes blondes Haar und war mit einem marineblauen Pulli und einer schwarzen Hose bekleidet – fast wie die „echte“ Sauerländer. An die 10.000 Avatare bewegten sich an diesen Tagen auf der Digital-Insel. Sie lauschten Vorträgen, besuchten Seminare und knüpften Kontakte. „Teilweise war es sogar einfacher, mit den Leuten in Kontakt zu treten“, meint die Kuratorin. Welcher Mensch hinter einem Avatar steckte, konnte man am Aufblinken seines Namens über seinem Kopf erkennen. Kommunizieren ließ sich im Chat oder verbal, wenn man sich gegenüberstand. „Man muss sich das so wie bei der virtuellen Welt Second Life vorstellen“, sagt Sauerländer. „Ich hoffe, dass bald mehr Konferenzen online stattfinden und nicht alle um die halbe Welt jetten müssen, nur um dabei zu sein.“

Wo führt das hin? „Die VR-Technologie entwickelt sich rasant“, sagt der Geschäftsführer von INVR Space, Sönke Kirchhof. Seine Berliner Firma existiert seit 2016 und baut wie die oben genannten Plattformen VR-Welten für alle Arten von Veranstaltungen. Mit knapp 200 Projekten im Jahr sind sie mehr als ausgelastet. Darunter sind nicht nur Festivals und Konferenzen, sondern auch Kunstevents, VR-Installationen und Werbeprojekte. Sönke ist überzeugt, dass bestimmte Veranstaltungen in Zukunft ausschließlich online in einer VR-Welt stattfinden oder als Hybrid-Modell angeboten werden. Noch gäbe es bei der Digitalisierung der Avatare den sogenannten Uncanny-Valley-Effekt, der die Proportionen der avatarisierten Menschen nicht exakt wiedergibt und sie somit wie Frankenstein aussehen lässt. Darum werden sie bisher auch meistens nicht realitätsgetreu dargestellt. Ein technisches Problem, das sich lösen lässt.



Ein blasser Vorgeschmack aufs Metaverse. Oben: Avatar-Figuren à la Sauerländer. Mitte: Das Planetarium in Brüssel. Unten: VR-Band mit Publikum. Fotos: INVR Space

Und dass es sich lösen lässt, ist ganz gewiss. Mark Zuckerberg, zu dessen Konzern auch die VR-Brillen-Marke Oculus Quest gehört, hat nichts Geringeres vor, als das Internet in zehn Jahren zu revolutionieren. Seine Idee eines Metaverse sprengt bislang die Vorstellungskraft der meisten Menschen. Nach seiner Idee werden wir zukünftig nicht mehr auf den Bildschirm starren, wenn wir im Internet surfen, wir werden im Internet sein. Als Avatare in einer alles verbindenden VR-Welt. Matrix, bloß in echt. Alles soll im Metaverse möglich sein, soziale Begegnungen, Einkäufe, Arbeit, Games und Unterhaltung, einfach alles, was unser physisches Leben ausmacht.

Unter heutigen Bedingungen wäre das zwar nicht nachhaltig – Facebook wirkt wie Instagram, Pinterest, Twitter und andere soziale Netzwerke besonders "konsumanregend", so die Analyse von Tilman Santarius, Professor für Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin. Bis 2030 will der Konzern aber – wie Apple, Google und Microsoft auch – über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg klimaneutral werden. Man darf gespannt sein. Zumindest braucht man dann nicht mehr mit dem Porsche zum Real-Life Supermarkt fahren. Man fliegt dann gleich direkt mit ein paar Avatar-Kumpels in die Getränkeabteilung.


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