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Nachgefragt bei Christina Kyriazidi: "Ich habe einen Elefanten adoptiert"

Nachgefragt bei Christina Kyriazidi: "Ich habe einen Elefanten adoptiert"
Foto: Jens Thomas

Christina Kyriazidi erzählt gerne Geschichten – und sie will, dass auch andere Menschen Geschichten erzählen – und dafür einen Gutschein bekommen, mit dem sie in der Stadt in Cafés einen Kaffee trinken können oder eine Suppe bekommen. Sie nennt das „Story for Food“. Dazu hat sie das BERLIN STORY HUB in Friedrichshain eröffnet. 2016, als das Projekt noch in den Kinderschuhen steckte, kam sie mit der Idee zu uns in die Beratung. In Teil 6 unserer Reihe "Nachgefragt" wollen wir nicht nur wissen, wie sich das Projekt entwickelt hat, wir haben die Frau, die eigentlich aus Griechenland stammt, Regisseurin, Theaterautorin und Schauspielerin ist, in Friedrichshain besucht und uns ihre ganz eigene Geschichte erzählen lassen.
 

Vor Ort war CAROLIN MACKERT 
 

Als ich durch die große Fensterscheibe des BERLIN STORY HUB im Lighthaus schaue, fällt mein Blick sofort auf die vielen bunten Kopfhörer, die sich kreuz und quer über einen langen Tisch verteilen. Wild sieht es hier aus, irgendwie aber auch gemütlich. Fast wie in einem Wohnzimmer, ein paar Sessel stehen im Raum, Pflanzen und ein selbst gebautes Bücherregal reihen sich dazu. Das ist es also, das Story Hub. Ein Ort der Geschichten, wie man sagt. Christina Kyriazidi, langes glattes Haar, immer ein Lächeln auf den Lippen, hat sich das hier alles ausgedacht. Sie kommt uns entgegen, begrüßt uns und führt uns durch die Räume. Dann drückt sie uns Kopfhörer in die Hand. Wir nehmen eine Kostprobe vom Rohmaterial ihres Projektes: Erzählungen von ganz normalen Menschen, wie sie sagt.

Ich höre die tiefe Stimme eines Mannes. Diesen Mann habe ich weder gesehen, noch kenne ich seinen Namen. Ich lausche sieben Minuten lang seiner ganz persönlichen Geschichte über seinen Vater. Mir gegenüber sitzt eine andere Besucherin, auch sie hat Kopfhörer auf. Stumm schaut sie auf die Tischplatte im Raum, sie wirkt etwas weggetreten, vielleicht fühlt sie sich auch einfach nur wohl. Wie meine Hände umschließen auch ihre einen hellblauen MP3-Player, dessen Bedienung zunächst mein Erinnerungsvermögen fordert: MP3-Player, ach ja, die gibt’s noch. Ohne je darüber nachgedacht zu haben, wie unbemerkt MP3-Player eigentlich aus dem alltäglichen Gebrauch verschwunden sind, weckt er jetzt ein seltsames nostalgisches Gefühl in mir. 

Während ich dem Mann zuhöre, läuft Christina im Raum umher und kramt ein paar Sachen zusammen. Nach sieben Minuten bin ich fertig. Ich lege die Kopfhörer ab. Christina kommt zu mir, ich drücke auf das Aufnahmegerät und sie erzählt mir ihre ganz persönliche Geschichte.

 

Kreativ Kultur Berlin: Christina, gemütlich hast du es hier. Hast du das hier ganz alleine ins Leben gerufen?

Christina Kyriazidi: Im Grunde ja. Mittlerweile sind wir aber elf Leute. Darüber bin ich  sehr froh, weil das echt Arbeit ist, was wir hier machen. Wir ziehen nämlich monatlich um, damit wir Leute aus ganz unterschiedlichen Bezirken erreichen.

Kreativ Kultur Berlin: Der Name deines Projektes ist Programm: Story for Food. Menschen bekommen etwas zu essen, wenn sie ihre Geschichte erzählen. Klär uns mal auf, wie funktioniert das? 

Ich möchte, dass Menschen in Zukunft mit ihren Geschichten bezahlen können. Ich nenne das Story Economy

Christina Kyriazidi: Menschen sprechen bei uns ihre Geschichten in einen Rekorder ein und bekommen dafür einen Gutschein – den können sie dann zum Beispiel in einem Café einlösen, mit dem wir kooperieren. Wir haben bisher 14 Partner gewinnen können – mit dabei sind viele Cafés aus Berlin wie das YogaCafé, bRICK oder Frollein Langen, aber auch Bars, ein Kino und ein Theater sind dabei. Wir nennen das Story Economy. 

Geschichten machen Laune, Carolin Mackert und Christina Kyriazidi vor dem Lighthaus in Berlin-Friedrichshain. Foto: Jens Thomas 
 

Kreativ Kultur Berlin: Was ist denn das Ziel von Story for Food?  

Christina Kyriazidi: Ich möchte, dass Menschen sich öffnen und austauschen, ich will Zugänge schaffen. Mein Ziel ist es, dass in Zukunft ein richtiges Erzählcafé entsteht, wo die Menschen mit ihren Geschichten sogar direkt bezahlen können.

Kreativ Kultur Berlin: Und wie soll das funktionieren? Ich vermute, dass die Leute eher ihre Ruhe haben wollen, wenn sie in ein Café gehen.   

Christina Kyriazidi: Die Leute würden ja nicht zugetextet werden. Sie gehen in einen separaten Raum, nehmen dort ihre Geschichte auf – und bekommen dafür zum Beispiel eine Suppe. Ich will mündliches Geschichtenerzählen in der Gesellschaft stärken und sowohl das Teilen von Geschichten als auch das Zuhören und Interesse daran fördern.

Kreativ Kultur Berlin: Wie bist du auf diese – doch etwas verrückte – Idee gekommen?

Christina Kyriazidi: Geschichten haben mich schon immer fasziniert, sie haben eine inspirierende Kraft. Geschichten können Menschen ermutigen und Beziehungen zwischen ihnen schaffen. Ich bin zwei Jahre lang in ganz Berlin unterwegs gewesen und habe die Geschichten von Leuten aufgenommen, die ich getroffen habe. Im Gegenzug bekamen sie von mir Schokolade. Die Idee für das Projekt kam mir aber eigentlich schon vor zwei Jahren in Wien, als ich am Programm Citizen Artist Incubator teilnahm. Über das Programm wurden Künstler ermutigt, sich in politischen oder sozialen Projekten zu engagieren. Auch meine Aufenthalte in Argentinien und Brasilien haben mich zu diesem Projekt angeregt. Dort sind oft gerade die Menschen reich an Geschichten, die besonders arm sind. Viele dieser Menschen sind wirklich inspirierend, es sind fast schon mystische Geschichten, die die Menschen dort erzählen. Ich dachte mir, wenn diese Menschen in ein Restaurant gehen und mit einer Geschichte bezahlen könnten, würde das andere Personen auf ganz andere Weise bereichern.  

Kreativ Kultur Berlin: Ist es denn egal, was das für Geschichten sind? Überprüft ihr die Storys, oder erzählt hier jeder einfach was er will? 

Christina Kyriazidi: Ja, jeder erzählt was er will. Wir wollen Erzählungen von ganz normalen Menschen. Es müssen auch nicht unbedingt die eigenen Geschichten sein, sie können zum Beispiel auch von deiner Oma oder einem Freund stammen, auch Kriegs-, Freundschafts- oder Liebesgeschichten sind möglich. Wichtig ist, dass diese Geschichten bisher nicht dokumentiert sind. Es geht um die Geschichten, die du in dir trägst, die dich und deine Kultur ausmachen, und sonst mit dir sterben würden, weil du sie nicht selbst aufzeichnest.

Bei Story For Food geht es um die Geschichten, die du in dir trägst, die dich und deine Kultur ausmachen, und sonst mit dir sterben würden, weil du sie nicht selbst aufzeichnest

Kreativ Kultur Berlin: Wie finanziert ihr das Projekt? Verdient ihr mit Story for Food auch Geld? 

Christina Kyriazidi: Bislang machen wir das alles ehrenamtlich, bezahlen kann ich noch keinen. Ich biete den Leuten dann als Gegenleistung Schauspielunterricht an, wenn sie hier arbeiten. Und das Projekt finanziere ich über meine Ersparnisse. Das kann natürlich nicht ewig so weitergehen. Ich kann nicht immer nur geben, ich muss irgendwann auch wieder etwas zurückbekommen. Deshalb hatten wir auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Außerdem organisieren wir verschiedene Extra-Events, wobei durch Eintrittsgelder von Besuchern auch ein bisschen Geld für das Projekt reinkommt. So organisieren wir zum Beispiel immer wieder einen „Foodback“, da werden Geschichten in kulinarische Gerichte übersetzt. Ansonsten veranstalten wir einmal im Monat unser Story Cinema: Menschen sitzen dazu im Kino, Geschichten werden in Originalsprache abgespielt, während die englische Übersetzung an die Wand projiziert wird. Jetzt und in Zukunft brauchen wir aber eine kostendeckende und nachhaltige Finanzierung für das Projekt.

Hören und fühlen. Foto: Jens Thomas 
 

Kreativ Kultur Berlin: Du warst darum 2016 in der Kreativwirtschaftsberatung Berlin. Welche Fragen hattest du damals? 

Christina Kyriazidi: Ich wusste überhaupt nicht, wie ich das Projekt angehen sollte. Darum bin ich zu Melanie Seifart in die Kreativwirtschaftsberatung gekommen. Melanie gab mir ganz viele tolle Kontakte, so zum Beispiel zum Heldenrat, das ist ein Coaching-Team, von denen mich einer im Anschluss ein Jahr lang kostenlos gecoacht hat, wofür ich sehr dankbar bin. Und mir wurde klar, dass die Idee von einem großen Erzählcafé, die ich damals schon hatte, wohl doch noch etwas zu groß ist. Darum haben wir erst mal zwei Jahre lang Geschichten von Menschen in Berlin gesammelt. Heute haben war das BERLIN STORY HUB. Ist das nicht toll?

Ich wusste überhaupt nicht, wie ich das Projekt angehen sollte. Darum bin ich zu Melanie Seifart in die Kreativwirtschaftsberatung gekommen

Kreativ Kultur Berlin: Und jetzt? Willst du selbst daran verdienen? Würden die Leute beispielsweise dafür bezahlen, dass sie bei dir Geschichten einsprechen können – und dafür einen Gutschein bekommen, der sich für sie sogar rechnet? Oder welche Geschäftsideen hast du?

Christina Kyriazidi: Eine konkrete Geschäftsidee habe ich noch nicht. Das ist auch schwierig, denn Story for Food ist weder ein reines Kunstprojekt, noch ein rein soziales Projekt. Es ist ein soziales Kunstprojekt. In der Beratung hatten wir auch schon mehrere Ideen zur Finanzierung entwickelt. Eine Idee ist zum Beispiel, künftig Story-Events für Firmen zu veranstalten. Auch eine Förderung wäre sinnvoll. Darum bewerbe ich mich gerade auf diverse Fördertöpfe, zweimal wurde ich aber schon abgelehnt. Aber ich lasse mich nicht entmutigen! Meine Motivation, weiter zu machen, ist auch eine Verantwortung für all die 240 Geschichten in 14 verschiedenen Sprachen, die wir bisher gesammelt haben. Die Geschichten müssen zugänglich sein, damit auch andere sie hören können.

Kreativ Kultur Berlin: Aber glaubst du, dass sich eine Story Economy in irgendeiner Weise auf dem Markt etablieren kann? Können Geschichten Geld ersetzen? 

Christina Kyriazidi: Nein, Geschichten können kein Geld ersetzen, das sollen sie aber auch gar nicht. Das würde auch nicht funktionieren, und man würde die Geschichten bewerten. Das will ich nicht. Ich möchte, dass man Geschichten gegen etwas anderes eintauschen kann, für einen anderen Service zum Beispiel, für eine Taxifahrt oder eine Kleiderwäsche im Waschsalon. Meine Story Economy steht auch eher symbolisch für eine neue Art des Tauschs, für eine neue Art des Miteinanders und Zuhörens – und die Leute sollen darüber reflektieren, gegen was sie sonst Dinge im Leben eintauschen: nämlich meistens gegen Geld.

Foto: Jens Thomas 
 

Kreativ Kultur Berlin: Christina, du hast mittlerweile einen Elefanten adoptiert. Wie geht es weiter mit dir und dem BERLIN STORY HUB? Hast du einen Traum?

Christina Kyriazidi: Ja, ich habe einen Traum! Und ja, ich habe einen Elefanten adoptiert, in Thailand! Ich liebe einfach Elefanten, sie sind ja sogar in mein Story-for-Food-Logo integriert. Mein Traum ist es, dass uns Geld einmal nicht mehr so dominiert. Und ich will meine Story Economy in ganz vielen anderen Städten etablieren. Seit Kurzem haben wir eine neue Kooperation mit Colaboradio und dem Radiosender www.88vier.de. Am 25. September 2018 geht’s los: Um 20 Uhr senden wir zum ersten Mal und dann in Zukunft an jedem letzten Dienstag im Monat die "STORY-FOR-FOOD-Radio Show“ auf der Frequenz 88,4fm. Hier spielen wir Geschichten aus unserem Archiv und laden Gäste ein, live im Radio ihre Geschichte zu erzählen. Außerdem entwickeln wir gerade eine Story-App, die vielleicht bis Januar fertig sein könnte. Damit können auch Menschen, die nicht in Berlin wohnen, ihre Geschichte mit Hilfe dieser App aufnehmen und im Gegenzug eine andere Geschichte in der Sprache ihrer Wahl bekommen. Es wäre doch toll, wenn es diese Geschichten bald auf der ganzen Welt gibt.


Alle Infos zu Story for Food gibt´s hier

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