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Michel Harms: „Crowdfunding finanziert nur das, was Menschen wirklich wollen“

Michel Harms: „Crowdfunding finanziert nur das, was Menschen wirklich wollen“
Foto: © Crowd Dialog

Seit gut einem Jahrzehnt hat sich Crowdfunding in Deutschland etabliert. Während manche Plattformen der ersten Stunde schon wieder verschwunden sind, setzt sich Crowdfunding im Bereich Kunst und Kultur immer mehr durch. Wir ziehen an dieser Stelle eine Bilanz: Wo steht das Crowdfunding jetzt und in zehn Jahren? Welche Trends dominieren? Welche Entwicklungen braucht es in der Zukunft? Rede und Antwort stand uns ein Berliner Urgestein des Crowdfundings, Michel Harms, Gründer der Plattform crowdfunding.de. 
 

Interview: Jens Thomas

 

Foto: Crowd Dialog

CCB Magazin:Hallo Michel, du bist ein Crowdfunding-Urgestein. 2007 hast du deine Abschlussarbeit über Crowdfunding geschrieben. Seit Crowdfunding in Deutschland populär wurde, arbeitest du zu diesem Thema. Heute betreust du die Plattform crowdfunding.de. Wenn du in zehn Sätzen beschreiben müsstet, was dich an Crowdfunding fasziniert, wie lautet deine Antwort?

Michel:Ok, zehn kurze Sätze: Crowdfunding verbindet Menschen. Crowdfunding ist eine demokratische Finanzierungsform. Crowdfunding finanziert nur das, was Menschen auch wirklich wollen. Crowdfunding wird nicht zentral gesteuert. Crowdfunding macht gute Ideen unabhängig von Gatekeepern. Crowdfunding basiert auf dem marktwirtschaftlichen Prinzip, ohne monopolistische Strukturen zu fördern. Crowdfunding steht für Teilhabe. Crowdfunding funktioniert lokal und global. Crowdfunding ermächtigt den Einzelnen. Crowdfunding schafft gesellschaftliche Mehrwerte. 

CCB Magazin:Das ist ein Manifest. Gibt es denn nichts, was du bedenklich findest oder auszusetzen hast? 

Michel:Ich bin davon überzeugt, dass Crowdfunding insbesondere auch dann funktionieren kann, wenn Märkte traditionell versagen. Also zum Beispiel bei der Finanzierung besonders innovativer Ideen. Zugleich denke ich aber auch, dass Crowdfunding nicht für alle Märkte geeignet ist. In den USA zum Beispiel versuchen mittlerweile viele Menschen medizinische Behandlungen über öffentliche Spenden-Aktionen zu finanzieren, weil sie die Kosten aufgrund fehlender Versicherung nicht tragen können. Crowdfunding zur medizinischen Grundversorgung: das ist eine Entwicklung, die ich ziemlich bedenklich finde.  

CCB Magazin:Crowdfunding wurde in Deutschland vor allem durch den ersten Stromberg-Crowdfunding-Film und die erste Plattform-Welle 2010 rund um Startnext, Pling, Vision Bakery, MySherpas und Inkubato populär. Mittlerweile hat sich Crowdfunding etabliert. Wo siehst du ganz konkret die heutigen Potenziale?

Michel:Das grundsätzliche Potenzial von Crowdfunding liegt darin, dass es Potenziale überhaupt erst freisetzt. Die Umsetzung einer guten Idee ist ja nicht mehr von einem dritten Entscheider abhängig, der sich möglicherweise außerhalb des jeweiligen Marktes bewegt. Und wenn eine Idee Relevanz hat und auf Gegenliebe stößt, lässt sie sich mit dem passenden Crowdfunding-Modell ohne externe Finanzierer umsetzen. Crowdfunding ist ein „Möglichmacher“. 

CCB Magazin:Aber wird Crowdfunding nicht überbewertet? Die Durchschnittssumme einer erfolgreichen reward-based-Crowdfunding-Kampagne liegt in Deutschland bei rund 8.000 Euro. Am Anfang war die Angst vor allem unter vielen Künstlern und Non-Profit-Kulturakteuern groß, Crowdfunding könnte die klassische Kulturfinanzierung ersetzen. 

Michel:Das ist in der Form ja so nicht eingetroffen. Wenn öffentliche Kulturförderung mit dem Hinweis darauf gestrichen werden sollte, dass sich die Künstler einfach selbst über die Crowd finanzieren sollen, würde ich es auch ablehnen. Gerade für Künstler bietet Crowdfunding aber durchaus eine Möglichkeit, Projekte direkt zu finanzieren und sich unabhängig von Förderstrukturen zu machen. 

Crowdfunding verbindet Menschen. Crowdfunding ist eine demokratische Finanzierungsform. Crowdfunding macht gute Ideen unabhängig von Gatekeepern

CCB Magazin:Wenn du nach zehn Jahren eine Bilanz ziehst: Wie hat sich der Crowdfunding-Markt in Deutschland insgesamt entwickelt, auch im Vergleich zu anderen Ländern? 

Michel:Der deutsche Markt hat sich sehr gut entwickelt. Mittlerweile gibt es ein funktionierendes Ökosystem. Man hat die Möglichkeit, zwischen mehreren professionell arbeitenden Plattformen zu wählen und kann auf eine Vielzahl hochwertiger Beratungs- und Informationsangebote zurückgreifen. Laut unserer eigens durchgeführten Studie „Crowdfunding-Barometer Deutschland“ steigt auch der Anteil derjenigen, die von Crowdfunding gehört haben – und zwar Jahr für Jahr, aktuell liegt der Wert bei 68 Prozent. Allerdings haben erst 11 Prozent der Befragten schon mal ein Crowdfunding-Projekt finanziell unterstützt. Im Vergleich mit anderen Ländern und Märkten muss man aber immer den kulturellen Background eines jeweiligen Landes mitdenken.

CCB Magazin:Das heißt konkret? Wo liegen jetzt die genauen Unterschiede?

Michel:In Amerika, dem Mutterland des Crowdfundings, spielt zum Beispiel das Mäzenatentum, also die private Förderung von Kunst und Kultur, eine große Rolle. In Deutschland gibt es dagegen eher eine etablierte öffentliche Kulturförderung, und private finanzielle Beteiligung ist hierzulande nicht so sonderlich verankert. Darum haben Kreativförder-Plattformen wie Kickstarter aus den USA einfach einen anderen Nährboden als die Plattformen in Deutschland. Ähnlich sieht es beim Crowdinvesting aus. In den USA und in England ist die Aktienkultur – also das selbstbestimmte Investieren – bei privaten Anlegern deutlich verbreiteter als in Deutschland. Die deutschen Crowdinvestment-Plattformen müssen da erstmal mehr Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten. Aber auch wenn es ein wenig länger dauert, das Crowdfunding-Prinzip etabliert sich in Deutschland Stück für Stück. Selbst Facebook hat mittlerweile eine Spenden-Funktion. Die wurde zwar zunächst nur in den USA getestet, mittlerweile wurde sie aber auch in Deutschland aktiviert. Auch Banken und Unternehmen erkennen mittlerweile die Möglichkeiten des Crowdfundings und starten eigene Crowd-Plattformen oder Applikationen. So nutzt zum Beispiel Audi neuerdings internes Crowdfunding, um Gelder für Innovationsprozesse optimal einzuplanen. 

CCB Magazin:Eine Tendenz der letzten Jahre ist, dass Projekte mehrfach und immer wieder funden. Auch das Crowdfunding-Abo scheint sich schrittweise zu etablieren, erprobt werden zudem Kofinanzierungsformen durch die Kombination von Crowdfunding mit Mikrokrediten. Sind das Anzeichen einer Verstetigung des Crowdfundings, weil Crowdfunding nicht nur einmal genutzt wird? Oder strampeln sich die Leute zunehmend ab, weil sie sich nicht langfristig etablieren können und immer wieder funden müssen? 

Michel:Ich würde ersteres sagen. Vor allem das „Abo-Crowdfunding“ wird immer populärer, und es zeigt, dass Crowdfunding mittlerweile auch langfristig gedacht wird. Das Prinzip spiegelt letztlich auch grundsätzliche Entwicklungen wider, die sich auf den Märkten beobachten lassen.

CCB Magazin:Du meinst was? 

Michel:Den vollen Zugang zu den digitalen Inhalten der großen Medienhäuser erhält man meist nur noch mit einem zahlungspflichtigen Abo. Ein Großteil der Inhalte liegt mittlerweile hinter einer Paywall. Es wird also normaler für die Menschen, für den dauerhaften Zugang zu qualitativ guten digitalen Inhalten im Internet dauerhaft zu zahlen. Auch lässt sich beobachten, dass die Produkte in den Bereichen Film und Musik immer sequenzieller werden. Früher war es der Blockbuster-Kinofilm und das Musikalbum, auf das mit einem großen Boom zum Release-Tag hingearbeitet wurde. Jetzt gibt es eine Vielzahl an Serien in höchster Kinofilmqualität, die die Zuschauer über Monate und Jahre binden. Und es ist ja so, dass die Kommunikation zwischen Künstlern und Fans beziehungsweise zwischen Anbietern und Kunden heutzutage immer direkter und in Echtzeit über digitale Kanäle stattfindet. Sequenzielle Produkte, direkte Kommunikation und die Erkenntnis, dass man für gute unabhängige Inhalte zahlen muss, sind gute Ausgangsvoraussetzungen für das Abo-Crowdfunding. 

Das Potenzial von Crowdfunding liegt darin, dass es Potenziale überhaupt erst freisetzt. Crowdfunding ist ein „Möglichmacher"

CCB Magazin:Wie schätzt du die Entwicklung von Kofinanzierungsmodellen ein? 

Michel:Co-Fundings können für alle Seiten Sinn machen. Für die institutionellen Geldgeber kann es der Risikoreduktion dienen. Denn wenn sich die Crowd im Rahmen eines Vorverkauf-Crowdfundings für eine Idee begeistern lässt, belegt das, dass es tatsächliches Interesse am Projekt oder Produkt gibt. Und beim Crowdinvesting kann es der Crowd als Risikoreduktion dienen, wenn ein institutioneller Leadinvestor dabei ist, der die Ressourcen für eine ausführliche Prüfung des Investments hat.

CCB Magazin:Wenn du etwas zum Thema Crowdfunding auf die politische Agenda setzen könntest, was wäre das? 

Michel:Das Besondere an Crowdfunding ist ja, dass es unabhängig von der öffentlichen Hand und etablierten Industrien funktioniert. Darum denke ich, dass es nicht Aufgabe der Politik sein sollte, in den Crowdfunding-Markt einzugreifen, ihn beispielsweise zu subventionieren. Der Erfolg von Crowdfunding hängt letztlich von drei Parteien ab: Den Projektinitiatoren, die ihre Finanzierung in die eigene Hand nehmen und sich nicht auf einen Vorschuss aus der Industrie oder eine öffentliche Förderung verlassen. Von den Bürgern, die direktes finanzielles Engagement für die Sachen zeigen, die ihnen wichtig sind. Und den Unternehmern, die Plattformen und Angebote schaffen, die Projektinitiatoren und Bürger zusammenbringen und das Funding strukturieren. 

CCB Magazin:Michel, wo steht Crowdfunding in zehn Jahren? 

Michel:Digitalisierung, Klima, Migration, konjunkturelle Entwicklung, Populismus – diese Themen verändern die Welt zunehmend und in rasanter Geschwindigkeit. Ich setze darauf, dass kreative Menschen Initiative ergreifen und Lösungen für die aktuellen Herausforderungen entwickeln. Eine engagierte Bürgerschaft hat durch Crowdfunding die Möglichkeit, diese Projekte mitzufinanzieren, an den Entwicklungen teilzuhaben und so den Wandel menschenzentriert mitzugestalten. Denn: Durch die digitalen Möglichkeiten ändert sich ja nicht nur grundlegend die Art, wie wir Menschen miteinander kommunizieren. Es ändern sich auch die Möglichkeiten, wie wir konsumieren. Es wird auch mit Sicherheit keine zehn Jahre mehr dauern, bis WhatsApp, Amazon und andere Dienste Crowdfunding-Applikationen integrieren. Wer weiß, ob es Facebook & Co. dann überhaupt noch in dieser Form gibt. Und ich bin mir sicher, dass das Crowdfunding-Prinzip in zehn Jahren im Alltag der Menschen und den Angeboten verschiedenster Anbieter tief verankert sein wird. 

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